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Brunnen und Wasserspiele – überflüssiger Schnickschnack

Immer wieder behaupten Stadtplaner und Stadtplanerinnen, dass Gestaltungen mit Wasser, vor allem Brunnen und Wasserspiele, lediglich additive Elemente der Stadtgestaltung seien – zu unwichtig, um sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen. Ich reagiere auf solche Statements meist befindlich, schließlich ist Wasser in der Stadt mein Spezialgebiet – und wer lässt sich schon gern sagen, dass das unwichtig ist. Denn genau das ist im Planerjargon mit ADDITIV gemeint: UNWICHTIG.

Aber vielleicht ist ja etwas dran an der Behauptung? Vielleicht ist gestaltetes Wasser für Städte tatsächlich unwichtig? Deshalb ein kleiner historischer Rückblick.

Ohne Wasser keine Stadt. Alles Leben der Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner, aber auch das Grün mit Bäumen und Parks, Gewerbe und Industrie wären ohne Wasser nicht möglich. Durch Städte fließen Flüsse und Bäche. Es gibt Brücken, damit Teil städtischen Wassers. In den historischen Städten kamen noch planvoll angelegte Stadtbäche dazu. Sie lieferten Wasser für Gewerbe und spülten Abfälle aus der Stadt heraus. Und dann waren da die öffentlichen Brunnen, notwendig für die Trinkwasserversorgung, mit ihren Standorten auf Plätzen und Wegekreuzungen.

Wasser war notwendig, barg aber auch Gefahren: Hochwasser, Schlamm, Matsch und Schmutz auf den unbefestigten Wegen. Auslöser für Seuchen und Epidemien waren dieser Dreck und verseuchtes Trinkwasser, dazu kam die permanente Angst vor Brunnenvergiftungen. Schließlich drohten in den eng bebauten Städten Stadtbrände, Wasserknappheit konnte da schnell zur Katastrophe werden. Wasser war sichtbar und allgegenwärtig, die Menschen lebten damit. Der Blick in die Geschichte zeigt auch: Wasser war nie nur funktionales Element, sondern immer gestalterisches und sozialräumliches. Die prächtig geschmückten Marktbrunnen waren Symbole der Macht und Zeichen des Stadtlebens. Brücken waren nicht einfach technische Bauwerke, sondern oft großartige Zeichen der Handwerks- und Ingenieurkunst. Ein weiterer Aspekt des Wassers zeigt sich im Bild der Stadt. Historische Stadtansichten stellen gern Flüsse und Stadt als besondere Kulisse dar. Unter anderem daher rührt die Faszination der Menschen für städtisches Wasser. Darum lieben sie die Brunnen und sitzen gern am Ufer von Flüssen und Seen. Gestaltetes Wasser spricht emotional an, erfreut, sorgt für Wohlbefinden, hatte aber eben immer auch eine Funktion für das Stadtleben.

Dennoch gab es mit dem Beginn der Industrialisierung eine lange Periode, in der das Wasser fast komplett abwesend war. Stadtbäche wurden zugeschüttet, Flussufer mit Straßen und Gewerbe bebaut. Die Flüsse verdreckten, nicht nur weil die Abwassermengen anstiegen, sondern vor allem, weil durch die Industrie hochbelastetes Abwasser in den Flüssen entsorgte. Dazu wurde jede noch so kleine unbefestigte Fläche in der Stadt versiegelt. Pfützen? Eine Katastrophe. Das Regenwasser wurde möglichst schnell in die Kanalisation und die Flüsse abgeleitet. Oft so schnell, dass die Hochwassergefahr rapide anstieg. In der Stadt sichtbar waren nur noch Schmuckbrunnen, tatsächlich manchmal wie additives, austauschbares Stadtmobiliar. Mit diesem technisierten Umgang entfernten sich die Menschen vom Wasser. Wasser und Abwasser als Ware, professionell behandelt von unsichtbar agierenden Ver- und Entsorgungsbetrieben. Das Verständnis für Wasser – für seine lebensbejaenden und bedrohlichen Seiten ging verloren. Vermutlich wäre das so weitergegangen. Doch die ökologische Bewegung der 1970er und 1980er Jahre führte zu einem Umdenken, in Verbindung mit den anhaltenden Hochwässern und der generellen Wiederentdeckung der Stadt. So kam es auch zur Wiederentdeckung des Wassers in der Stadt.

Viele renaturierte Flüsse und Bäche zeugen davon, auch Ufergestaltungen und Parks, bespielbare Bäche mit Liegewiesen. Dazu Wasserspielplätze und Brunnen – beliebt bei Kindern, aber nicht nur bei diesen. Dazu auch wieder das Bild der Stadt am Wasser. Die vielversprechenden Stadtansichten von Köln, Dresden, Tübingen oder Heidelberg sind mehr denn je vielversprechend, da Fluss und Stadt eine Verbindung eingehen, die Menschen emotional anspricht. Leider entsteht diese Verbindung oft nur im Bild, real ist das Flusserleben nicht selten mit Hindernissen verbunden. In Heidelberg zerschneidet eine Bundesstraße das Ufer. In Tübingen ist der Neckar an vielen Stellen nur mittelbar erlebbar, weil die Ufer nicht zugänglich sind. Wenn man nicht gerade Stocherkahn fahren will, gibt es zum Sitzen am Wasser nur die historische Stadtmauer, die Schwindelfreiheit erfordert und ziemlich unbequem ist. Anderswo sind die Städte bereits wieder an den Fluss herangerückt. Sitzstufen und Wege, ja ganze Parkanlagen am Wasser, wie in Frankfurt und in Koblenz, dort sogar mit Seilbahn, welche die Rheinufer verbindet.

Wasser in der Stadt umfasst heute viel mehr Aspekte: Klimawandel mit zunehmenden Starkregenereignissen oder langen Hitze- und Trockenperioden. Anhaltende Versiegelung durch Straßen und Bebauung. Grundwasserverhältnisse, die sich dadurch verschlechtern. Luftverschmutzung durch viel zu viele Autos. Mikroplastik in den Gewässern. Zeiten, in denen Kreisläufe längst keine Kreisläufe mehr sind. Alles Gründe, genauer auf das Thema Wasser in der Stadt zu schauen.

Wasser in der Stadt bedeutet deshalb: Freihalten von Flächen für Hochwasserschutz und gleichzeitig ihre Gestaltung als Parks und Grünanlagen, Versickern und Rückhalten von Regenwasser, Sichern und Ausbauen von Kaltluftschneisen, die oft entlang der Flüsse und Bäche fließen. Sauberhalten der Gewässer, gesundheitliche Vorsorge treffen in den heißen Städten, Abkühlen von Plätzen und versiegelten Flächen, Anreize für Bewegung, Spiel und Sport, erholsame Oasen mit Grün und Wasser, Zugänge zum Wasser schaffen, Sichern lokaler Grundwasservorkommen, Bewässern des Stadtgrüns im Sommer, Umgang mit Starkregen.

Die meisten der benannten Themen laufen in den Städten, wenn überhaupt, nebeneinander: verschiedene Ämter – verschiedene Zuständigkeiten – verschiedene Interessen innerhalb der Stadt. Dabei ist das Thema so umfassend, dass es nur gemeinsam angegangen werden kann. Der Fachbegriff dafür: Wassersensitive Stadtentwicklung.

Wassersensitive Stadtentwicklung betrachtet die Stadt aus dem Blickwinkel des Wassers, nicht nebeneinander sondern miteinander, vernetzt, auch durch das Nutzen gleicher Flächen für unterschiedliche Belange. Das ist am Ende sogar eine Kostenfrage und es spart Platz – in Städten, die keinen Platz mehr haben. Wassersensitive Stadtentwicklung verbindet auch die funktionalen mit den gestalterischen Themen, macht Wasser für die Menschen wieder erfahrbar, nutzbar und schafft lebenswerte Stadt. Dazu gehören auch Brunnen und Wasserspiele – mit ihren Wohlfahrtswirkungen, ihren sozialen Möglichkeiten für das Zusammentreffen der Menschen in der Stadt, ihren stadtklimatischen Vorteilen, ihrer starken Symbolik. Vor allem sie machen Stadt lebenswert.

Darüber habe ich neulich bei der Tagung „Wasser in der Stadt – zwischen Flut und Erlebnis“ beim Netzwerk Innenstadt Nordrhein Westfalen vorgetragen: Faszination Wasser, wiederentdeckt und vielfältig genutzt. Mehr als interessant, denn viele Städte in NRW haben das Thema WASSER für sich bereits wiederentdeckt. Mehr dazu findet Ihr unter: http://www.innenstadt-nrw.de/aktuell/.

Über größenwahnsinnige Kommunalpolitiker

Ich stamme aus Magdeburg. Eine eher kleine Großstadt an der Elbe mit großer Geschichte und mäßiger Gegenwart, trotz Landeshauptstadt und Universität. Im Stadtbild Überreste der früher bestimmenden Schwerindustrie, eine Handvoll historische Gebäude und ein romanisches Kloster, welches längst kein Kloster mehr ist sondern Kunstmuseum und Konzerthalle mit schauerlicher Akustik. Sehenswürdig ist der Dom, 1363 geweiht und früheste fertig gestellte Kathedrale der Gotik auf deutschem Boden. Ansonsten viel Durchschnitt und wenig Großartiges – in einer Stadt, die in zwei Kriegen nahezu komplett zerstört wurde und beim Wiederaufbau hochfliegende, aber städtebaulich höchst fragwürdige Visionen verfolgte. So führten die Wiederaufbaupläne Otto von Guerickes nach dem Dreißigjährigen Krieg zu schnurgeraden, breiten Straßenschneisen, die sich bis heute durch eine technokratische Anmutung auszeichnen. Auf die verheerenden Zerstörungen kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges folgten monumentale Großbauten im Stile des sozialistischen Klassizismus, dazu riesige Aufmarschstraßen und Aufmarschplätze für Großkundgebungen. Einhergehend mit dem Abriss vieler Kirchen entledigte man sich seines historischen Erbes und des gewachsenen Stadtgrundrisses gründlich. Glücklicherweise verhinderte die planvolle Mangelwirtschaft die allerschlimmsten Auswüchse und auf den freigelassenen Flächen entwickelte sich üppiges Stadtgrün, was zumindest aus heutiger Sicht etwas durchaus Versöhnliches hat.

Magdeburg ist bis heute eine Stadt mit Brüchen und Lücken, besonders in der Innenstadt. Von den ehemals kleinteiligen Quartieren blieb viel freie Fläche, überdeckt von Rasen und Baumkarrees. In der Goldgräberzeit der 1990er Jahre verwüsteten Investoren die Stadt mit aneinandergereihten Einkaufzentren, autogerecht erschlossen für Konsumenten, die zur Erfüllung ihrer Konsumbedürfnisse gar keine Stadt brauchen, werden doch alle Wünsche im Inneren der Center erfüllt. Die entstandene Leere im öffentlichen Stadtraum versucht man derweil mit allerlei Festen und Events zu übertünchen. Die Innenstadt hat drei besondere Stadtplätze. Am südlichen Rand der Hasselbachplatz, ein sternförmiger, gründerzeitlicher Verkehrsplatz, der sich in den letzten Jahren zu einem Zentrum des Kneipen- und Nachtlebens entwickelt hat. Der Domplatz mit barocker Prachtbebauung, in der heute der Landtag untergebracht ist. Mittig der Alte Markt mit dem Rathaus, der zentrale Platz, dem allerdings das Zentrum fehlt. Für ihn gibt es jetzt eine Vision. Er soll zu dem herausragenden Ort der Stadt werden. Und so zitierte die örtliche Tageszeitung Volksstimme am 28.02.2018 einen Stadtrat mit den Worten: „ich hoffe, dass es bis zum Kulturhauptstadtjahr einen Alten Markt gibt, wie ihn Paris nicht hat.“

Oha. Ein Platz, wie ihn Paris nicht hat. Ein großer Vergleich.

Deshalb ein Blick in die Erinnerungskiste des letzten Parisbesuchs. Da wäre der königliche Place de Vosges, wundervoll mit seinen Arkaden und Statuen, schattenspendenden Bäumen und großzügigen Rasenflächen. Da wäre der Place Vendome, auch ein königlicher Platz, mit prunkvollen klassizistischen Stadthäusern und der Triumph-Säule. Da wäre der Place de la Concorde, der größte Platz in Paris, verkehrsumtost und gleichzeitig prachtvoll. Da wäre der Place Igor-Stravinsky mit dem Stravinsky-Brunnen, dessen wundersame, wasserspeiende Figuren von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle an die Werke des Komponisten erinnern. Da wäre der Place de la Republique, nicht der schönste, aber der bedeutendste Platz für die Pariser Stadtgesellschaft und seit seiner verkehrsberuhigten Umgestaltung auch wieder alltäglich erfahrbar. …

Paris ist die Stadt der Plätze. Sie sind prachtvoll und prunkvoll, verspielt und lebendig, erlesen und einzigartig. Sie sind steingewordene Geste des Stolzes der Könige und der bürgerlichen Stadtgesellschaft.

Ein Alter Markt in Magdeburg, wie ihn Paris nicht hat? Der Alte Markt als kultureller Höhepunkt der Kulturstadtbewerbung? Tatsächlich ein hoher Anspruch. Für den internationalen Wettbewerb, unter dem geht es bei diesem Anspruch nicht, haben die Stadträte schon Vorschläge gemacht: „breitere Gehwege, neue Sitzgelegenheiten, Platz für Außengastronomie, Parkverbote, Beleuchtungskonzept, Stromversorgung für Märkte Events, Kunstwerke, neue Oberflächengestaltung, Begrünung“. Inspirierend klingt anders.

Doch ist der Alte Markt eigentlich ein besonderer, herausragender Platz? Historische Fotos zeigen einen typischen Marktplatz, einheitlich gepflastert, die Straßenbahn querte den Platz, in den Gebäuden Geschäfte und Cafés. Nichts Besonderes. Seine Qualität zog der Platz aus den kleinteiligen, barocken Bürgerhäusern, dem Rathaus und dem Gewirr der angrenzenden Straßen und Gassen. Mit den biederen Nachkriegsfassaden der 1950er Jahre kann der Platz diese Qualität schwerlich erreichen. Schlimmer ist aber, dass der Alte Markt nicht mehr in den Stadtgrundriss eingebettet ist. Kein Gewirr von Straßen und Gassen mit geschäftiger Eile, von dem aus man in die Freiheit des Platzes entlassen wird. Statt dessen Straßenzüge ohne Gebäude, große unbebaute Flächen mit Parkplatzödnis und Rasentristesse, die allenfalls als Hundewiese und für den Weihnachtsmarkt nützen. Hinter der historischen Rathausfassade ein Zweckbau, der der geneigten Besucherin die letzte Lust auf die Stadt nimmt. Und überall Zugluft, die von der Elbe bis zum Bahnhof kräftig und ungehindert durch die Straßenschneisen pfeift.

Plätze leben vom Wechselspiel zwischen Gebautem und Nichtgebautem. Plätze leben von der Inszenierung der Übergangszonen zwischen Öffentlichem und Privatem durch Geschäfte und Cafés, all das möglichst kleinteilig der Vielfalt wegen. Plätze erfordern eine grundsätzliche Festlegung, welchem Zweck sie dienen sollen. Erst diese Festlegung eröffnet Möglichkeiten für Besonderes. Plätze, die alles können sollen, sind selten besondere Plätze. Und die Oberflächengestaltung? Sie ist wichtig, aber letztlich nicht entscheidend dafür, ob ein Platz zu einem herausragenden Platz wird. Das zeigt sich an einigen, in den letzten Jahren aufwendig realisierten und dennoch öden Plätzen. Dazu immer wieder der Widerspruch zwischen vermeintlicher Belebung von Plätzen durch Großevents und alltäglicher Belebung. Das ist nicht nur, aber eben auch eine wirtschaftliche Frage. Wenn für die Events und Märkte die Bestuhlung weichen muss, gehen den Betreibern überlebenswichtige Einnahmen verloren. Und als Gast muss ich mir dann andere Plätze suchen udn komme eventuell nicht wieder.

Deshalb lohnt der Blick auf den Domplatz. Für viel Geld sehr aufwendig umgestaltet – mit Wasserspiel, Bäumen, Bänken, um ihn jeden Sommer für zehn Wochen mit einem Freilufttheater samt wenig ansehnlicher Stellagen und Zäune zu überbauen, so dass alle zaghaften Bemühungen der Belebung im Keime erstickt werden.

Der Anspruch, einen Marktplatz zu erschaffen, wie ihn Paris nicht hat, ist nicht nur vermessen, er ist falsch. Zu wünschen wäre Magdeburg einen Marktplatz, der den Bürgerinnen und Bürgern Raum gibt, der einlädt und seine Geschichte nicht verleugnet. Ein Platz, der aus dem wilden Konglomerat beliebig gestalteter Flächen und Bauwerke wirklichen Stadtraum schafft und die Stadt an dieser Stelle repariert. Dafür braucht es Mut, auch zur Bebauung der umliegenden Flächen, damit ein Platz entsteht, der zu Magdeburg passt. Denn das lässt sich von Paris in jedem Fall lernen: Plätze müssen zur Stadt passen und nicht umgekehrt. Ein möglicher Weg wäre ein zunächst städtebaulicher Wettbewerb für das Marktquartier zwischen Breitem Weg, Jacobstraße, Ernst-Reuter-Allee, und Julius-Bremer-Straße. Die Diskussion über die konkrete Gestaltung der Flächen sollte hingegen noch etwas warten.

Der Traum von lebenswerter Stadt … und warum unsere Städte doch meist immer gleich aussehen

Regelmäßig werde ich zu Vorträgen und Diskussionen über Stadtgestaltung eingeladen, gern mit dem Schwerpunkt auf Planung für Kinder und Jugendliche. Ich erzähle über Strategien und Konzepte und zeige launige Bilder von realisierten kinder- und jugendfreundlichen Stadträumen. (so hat es beispielsweise in Reutlingen davon mittlerweile einige und es freut mich jedes Mal, wenn ich sehe, wie intensiv die genutzt werden.) Ich spreche über die Gründe für erfolgreiche Projektentwicklung und lebenswerte Stadtgestaltung. Und ich mache das gern, die Diskussionen sind meistens interessant. Schließlich wünschen sich – nahezu alle Menschen – Planende udn Entscheider in freien Büros in den Stadtverwaltungen, Gemeinderäte, Bürgerinnen und Bürger – qualitätsvolle Stadtgestaltung.

Meist ist das Erstaunen groß, was alles in einer Stadt möglich ist, wenn man die Bedürfnisse der Menschen konsequent berücksichtigt, anstatt nur davon zu reden. Denn tatsächlich wird in Planungsprozessen immer noch zu wenig über die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer diskutiert, trotz aller Partizipation, obwohl das kaum jemand zugeben wird. Stattdessen reden über Funktionen, Sichtachsen, über übergreifende Gestaltungsziele und gestalterische Details, auf die es meist überhaupt nicht ankommt. All das wird aber verpackt in intellektuell hochtrabende Worthülsen, zum Beispiel von der Stadt der kurzen Wege, obwohl es keine Kneipe im Quartier gibt, die nächste Einkaufmöglichkeit der Supermarkt am Stadtrand ist, der öffentliche Freiraum nicht zum Aufenthalt einlädt, sich die Kinder auf dem Weg zum Spielplatz zwischen einer Armada parkender Autos durchschlängeln müssen, es zwar Gehwege gibt, diese aber nicht zum Gehen einladen.

Die Stadt der kurzen Wege scheint immer noch zu bedeuten, dass der Weg zwischen Wohnung und parkendem Auto möglichst kurz ist. Und überhaupt … wird diese Worthülse vor allem dort benutzt, wo die Stadt alles andere als menschenfreundlich ist.

Worüber reden wir in der Planung? Keine Frage, gute Gestaltung ist wichtig. Und doch verlieren wir uns häufig im Kleinklein der Gestaltung, dass wir dann mit den beschriebenen Worthülsen umschreiben, damit das Kleinklein nicht so auffällt. Wir diskutieren über die richtigen Steinformate, die Farbe von Steinen, das Aussehen von Bänken (als wäre nicht auch wichtig, wie sich auf ihnen sitzen lässt), über die die Art und Qualität von Bäumen, über die finale Barrierefreiheit, und, und, und.

Und dann reden wir offenbar leidenschaftlich gern über  nicht beachtete oder vermeintlich nicht beachtete Sicherheit, über Risse im Beton, über riskante Absturzhöhen von Kinderspielgeräten oder fehlende Wasserqualität von Brunnen, die am besten Trinkwasserqualität haben sollten, damit der letzte Sicherheitsfanatiker befriedigt ist, auch wenn das kompletter Unsinn ist. Nicht selten passiert all das nach dem Motto: wer am lautesten schreit hat Recht, befeuert auch von der örtlichen Presse, immer auf der Suche nach dem ultimativen Fehler der Planenden oder der Verwaltungen. Bei diesen Diskussionen zeigt sich ein weiteres Phänomen: das Phänomen des Schlechtredens und der Suche nach dem Haar in der Suppe.

Deutschland: Land der Nörgler und Meckerer. Deutschland: Land der immerwährenden Suche nach den Schuldigen. Deutschland: Land der Besserwisser. Deutschland: Land der ewig Unzufriedenen. (Anmerkung. Deutschland lässt sich hier durch beliebige Ortsnamen austauschen)

Und wenn mal etwas gelingt im Stadtraum … selbst dann finden sich die Meckerer und Nörgler: zu voll, zu steinern, zu wenig integriert, zu wenig Schatten, zu wenig Bäume oder zu viel Bäume, zu schnell kaputt oder abgenutzt, zu dreckig, die übersteigerte Sorge, dass das Wasser im Wasserspiel zu dreckig sei und die gefährliche Straße zu nah dran … oder … das Ganze einfach nicht schön. Denn in unserer neoliberalen Welt mit seinem Fokus auf absoluter individueller Selbstverwirklichung muss Stadtgestaltung immer auch JEDEM gefallen. So wird erbittert über Gestaltung, Wasserqualität oder schlecht wachsende Bäume diskutiert, über Kleinkinder auf Skateplätzen, über die Notwendigkeit von Zäunen, damit Bälle nicht auf die Straße rollen und was immer da noch in den Sinn kommen mag.

Viel zu wenig diskutieren wir über die tatsächlichen Bedürfnisse von Menschen, von Kindern und Jugendlichen. Über das, was wir als Erwachsene dafür tun können, damit Kinder und Jugendliche frei und bewegt aufwachsen können. Über das, was wir tun können, damit wir uns selbst wohlfühlen. Über das, was wir tun können, um Stadträume mit Anreizen für den Aufenthalt zu schaffen. Über das, was wir tun können, um gesichtslose, immer gleiche Stadträume zu vermeiden, frei von jeglichen Möglichkeiten für Aneignung. Diese gesichtslosen Stadträume entstehen übrigens auch deshalb, weil ängstliche Entscheider und Entscheiderinnen jegliche Fehler vermeiden und es allen Recht machen wollen (dabei ist doch bekannt, dass diese Kunst noch niemandem wirklich gelang) oder weil sie auch noch dem letzten in der Stadt ihren mittelmäßigen, von aller Kreativität freien und langweiligen persönlichen Gestaltungsgeschmack aufoktroyieren wollen.

Also: Erinnern wir uns häufiger an unsere eigene Kindheit und seien wir nicht so brav und langweilig. Erinnern wir uns daran, wie wir uns im Urlaub im Süden wohlfühlen, wo es nicht so geleckt ist wie bei uns. Seien wir großzügig, diskutieren über das Mögliche und versuchen das Unmögliche. Und freuen wir uns, dass wir das alles dürfen.

Über Lindenbäume

Dass Münster die Hauptstadt der Fahrradfahrenden ist, wusste ich. Wirklich überrascht war ich aber von den vielen Lindenbäumen in der Stadt. Linden, nahezu überall und reichlich. Die Linde ist ja nicht ganz einfach als Stadtbaum, auch wenn sie sich stadtklimatisch meist gut eignet und die perfekte Bienenpflanze ist. Aber Blattläuse lieben Linden leider auch und der Honigtau, den sie absondern, ist eine ziemlich klebrige und unangenehme Sache: färbt Bodenbeläge, verklebt Bänke, den Autolack und auch die Fahrräder. Doch nichts geht über den betörenden Lindenduft zur Blütezeit im Juni und Juli, der mich immer ganz schummrig im Kopf macht. Wunderbar. Und so spazierte ich durch Münster, staunte darüber, wieviele Fahrradfahrer in eine Stadt passen und wie gemütlich das trotzdem sein kann und landete schließlich auf dem Domplatz mit seinem merkwürdig verbauten und gestückelten, halb romanischen und halb gotischen Dom, dessen Türme etwas zu breit und zu kurz geraten sind. Auf dem Platz einer der größten und schönsten Wochenmärkte, voller Menschen und sehr entspannt trotz Regen. All das gerahmt von Linden – großen und kleinen, alten und jungen als Baumhaine und frei, schier gar wahllos, verteilt als Solitäre, dazu ein altes Natursteinpflaster. Das war so schön, dass ich mir unweigerlich die Frage stellen musste, warum manch neuer Platz trotz aufwendiger Planung so trostlos daherkommt? Neigen wir dazu, alles totzuplanen und  sollten wir bei den Bäumen nicht einfach mutiger sein? Dann tropft es eben.

Warum ich einen Blog schreibe

In meinem Berufsleben schreibe ich viel: Mails und Briefe, Projektanträge, Vorlagen für den Gemeinderat, Fachartikel, meine Dissertation. Manchmal lange Texte, manchmal kurze. Vor einigen Jahren habe ich Facebook für mich entdeckt. Und bei aller berechtigten Kritik an diesem Medium kommt es ja darauf an, was man damit macht. Facebook ist, zumindest für mich, eine wunderbare Möglichkeit für Fotos, Kommentare und den Diskurs.

Meine Themen? Stadt- und Freiraumplanung, Radfahren und Zu Fuß Gehen, Parks und Gärten, Häuser und das ZWISCHEN DEN HÄUSERN, Natur und Landschaft, Garten, Brunnen und Wasserspiele.

Warum? Es ist mein Beruf, aber es ist noch mehr. Ich laufe gern durch Stadt und Dorf, komme viel herum, beobachte gern – und ich diskutiere gern über das, was ich sehe, was mich bewegt, worüber ich mich ärgere oder freue.

Noch etwas kommt dazu.

Ich lebe auf dem Land – genauer gesagt im ländlichen Raum Baden-Württembergs in einem Dorf mit mehreren Ortsteilen und einigen schönen Fachwerkhäusern, mit schlechter ÖPNV-Anbindung, eher schrumpfender Bevölkerung und dennoch mehreren Neubaugebieten für viele neue Einfamilienhäuser. Ich lebe in einem Dorf mit drum herum Intensivlandwirtschaft und zum Glück noch einigen Streuobstwiesen, einem Biobauern und einigen Hofläden, mit kleinen Bächen, Baggerseen mit klarem Wasser und dem wundervollen Rhein. Ich mag die Nachbarschaft des Dorfes mit dem Gespräch über den Gartenzaun, die vollen Körbe mit Obst, die weitergegeben werden, wenn es für die einen zu viel wird. Wie vielerorts im ländlichen Raum ist es selbstverständlich, überall hin mit dem Auto zu fahren – und wenn es nur 100 Meter entfernt ist – obwohl es ein passables Radwegenetz gibt. Ich lebe in einem Dorf, in dem man Mitglied in einem Verein sein sollte, man sich als Bürger oder Bürgerin ansonsten aber kaum einbringen kann, was vielen offenbar egal ist. Mein Dorf und die Gegend drum herum sind lebenswert, aber nicht weil politisch sonderlich viel dafür getan wird (abgesehen von einigen wenigen Unermüdlichen), sondern weil es hier schon immer schön war. Gleichzeitig verändert sich das Land immer mehr, was am deutlichsten daran sichtbar wird, dass es für Insekten, Igel, Hasen und viele Vogelarten immer schwieriger wird zu überleben.

Ich lebe auch in der Stadt – genauer gesagt an drei Tagen in der Woche in einer Universitätsstadt in Baden-Württemberg. Diese Stadt hat eine hohe Geburtenrate und wächst gerade stark, weshalb Wohnungsmangel herrscht. Die Stadt hat einen hohen Anteil an Menschen mit Hochschulabschluss und scheinbar reden alle überall mit. Es ist eine Stadt, in der intensiv um politische Entscheidungen gerungen wird und eine Stadt, die den Umbau zur lebenswerten Stadt vor vielen Jahren begonnen hat. Der Anteil im Umweltverbund (Rad, Fuß, ÖPNV) liegt bei 76 % (Binnenverkehr). Diese Stadt ist so, wie ich mir eine lebenswerte Stadt wünsche: mit lebendigen und individuellen Stadtquartieren, einer wundervollen Altstadt und mit vielen Menschen auf der Straße, die dich anschauen und dich wahrnehmen, wenn du Ihnen begegnest.

Das eine wie das andere hat natürlich mit der örtliche Lage zu tun (Stadt/Dorf), es hat mit Stadtplanung zu tun und mit dem Verständnis für Grün und Freiräume, vor allem aber hat es mit Politik zu tun, mit der großen in Bund und Land und mit der Kommunalpolitik. In meinen beiden Wohnorten könnte dies kaum unterschiedlicher sein. Mein Dorf hat einen Bürgermeister, der sehr jung ist (von nicht wenigen Menschen wurde er gerade deswegen gewählt), den man kaum im Ort trifft, dessen Ideen für die Entwicklung des Dorfes nicht erkennbar sind (falls er welche hat), der offenbar nicht gern mit seinen Bürgern diskutiert und der die 2 km Arbeitsweg zum Rathaus jeden Tag mit seinem großen, wichtigen Auto fährt. Die Stadt hat einen Oberbürgermeister, der zu vielem etwas zu sagen hat, der die Diskussion mit seinen Bürgerinnen und Bürgern sucht, der beharrlich den ökologischen und sozialen Umbau seiner Stadt vorantreibt und der mit seinem E-Bike fröhlich von Termin zu Termin radelt.

Das ist der Spannungsbogen, in dem sich für mich Stadt- und Freiraumplanung bewegt. Und so habe ich zwei Labore – ein Stadtlabor und ein Dorflabor und freue mich, dass mir beide so viele Anregungen bieten. Und das muss man doch teilen, oder?

Lebenswerte Stadt?

Landauf landab werben große und kleine Städte für die lebenswerte Stadt. Meistens machen sie das mit ihren aufwendig sanierten und aufgehübschten Innenstädten. Konkret bedeutet das: kostspieliges Natursteinpflaster (selbstverständlich garantiert ohne Kinderarbeit produziert), Cafés für die eiligen Banker und Hippster, Einzelhandel mit oft den immer gleichen Ketten, seltener inhabergeführter Handel, ab und zu ein Baum oder eine Bank, manchmal ein Brunnen und ab und zu ein Wipptier für die Kleinen (Familienfreundlichkeit ist wichtig). Dazu große Mülleimer für die Wegwerfgesellschaft und eine schier endlose Menge an Schildern, Leittafeln und Werbung, damit man auch noch den letzten Laden findet und keine Sehenswürdigkeit verpasst. Viel Geld wurde und wird vergraben mit mehr oder weniger gutem Ergebnis. Hinzu kommen einige Parks und Grünanlagen, vielleicht ein paar Meter Spazierwege entlang von Bächen oder Flüssen, einige Kinderspielplätze und vielleicht noch ein paar prestigeträchtige neue Fahrradwege. Bis hierhin sind sich eigentlich alle einig, Lebenswerte Stadt ist so ungefähr das.

Doch interessant wird es bei einem anderen Thema, welches mindestens genauso viel mit lebenswerter Stadt zu tun hat: Verkehr.

Fahrradfahren finden viele wichtig (in der Kommunalpolitik ist dieses Bewußtsein mittlerweile parteiübergreifend verankert), gleichzeitig sollte der motorisierte Individualverkehr möglichst ungestört weiterfahren können. Der ÖPNV könnte besser sein, aber das kostet ja so viel Geld. Innerstädtische Parkplätze  müssten eigentlich viel billiger werden, denn sonst kommen die Menschen nicht mehr zum Einkaufen in die Stadt. Parkraumbewirtschaftung ist unnütz, denn die Straße gehört schließlich den Autos.

Soweit die üblichen Argumente, in unterschiedlichen Variationen vorgetragen. Wozu das führt? Man kann es in vielen Städten beobachten. Breite Straßenschneisen gefüllt mit Autos, in denen man sich mit dem Fahrrad im besten Fall nur unwohl fühlt, in denen die Fußgänger nur unter Lebensgefahr die Fahrbahn queren können. Gehwege, auf denen man zu zweit nicht nebeneinander laufen kann, auf denen kein Baum Schatten spendet und keine Bank zum Ausruhen einlädt. Die Ödnis und Langeweile großer Auto-Parkplatzflächen sucht ihresgleichen, aber wehe, ein Parkplatz fällt weg. Tiefgaragenaufgänge und Fußgängerunter- und -überquerungen sind Angsträume, genauso wie die abends verlassenen Busbahnhöfe. Viele Wohnquartiere versprechen Leben und dienen tatsächlich nur dem Schlafen – ohne Geschäfte, Praxen, kleine Werkstätten und die vielgerühmte Eckkneipe. Noch immer – trotz Leipzig Charta und Leitbild Europäische Stadt sind viele Städte weit entfernt von lebenswert.

Der Grund liegt in der Funktions- und Nutzungstrennung. Dessen sichtbarstes Element ist die Lichtsignalanlage. Sie vermittelt Regeln und für den Fußgänger scheinbar Sicherheit und dient doch nur der Verflüssigung des Autoverkehrs (auch wenn viele Autofahrende beharrlich behaupten, Ampeln wären immer rot). Nutzungstrennung findet sich nahezu überall in unseren Stadträumen: auf dem aus Sicherheitsgründen eingezäunten Spielplatz oder dem umzäunten Sportplatz, auf der Hundewiese, in der Einbahnstraße und in der Fußgängerzone, in der nicht mehr gewohnt wird oder eben in Wohngebieten, in denen aufgrund ihrer Bebauungsstruktur jede Art der beruflichen Tätigkeit unmöglich ist. Funktions- und Nutzungstrennung bewirken ein Nebeneinander und sie vergessen den Menschen, der bei all dieser Funktionalität keinen Platz mehr findet.

Die lebenswerte Stadt hingegen geht vom Tempo des Fußgängers und Radfahrenden aus und respektiert das menschliche Maß. So entstehen Räume, in denen sich Menschen begegnen können, in denen alte Menschen und Kinder vergleichsweise gefahrlos in der Stadt bewegen können, mit Räumen und Häusern, die Lust machen auf Entdeckung, mit generationen- und schichtenübergreifenden Nutzungsangeboten und mit der Freiheit für eine Aneignung frei von festgelegten Normierungen. Lebenswerte Stadt braucht den überschaubaren Stadtplatz, die verkehrsberuhigte Straße, den Stadtteilpark, sie braucht Häuser mit öffentlichen Erdgeschossnutzungen und eben nicht das Hochhaus oder den monumentalen, abweisenden Solitär mit seinem Abstandsgrün drum herum, dass notwendig ist, damit die Fernwirkung überhaupt deutlich wird. Lebenswerte Stadt fördert und ermöglicht Aneignung und sie ruft danach, Straßen, Vorgärten, Plätze und Quartiere zu Fuß und mit dem Rad zu entdecken.

Historische Altstädte und Gründerzeitquartiere haben es manchmal noch, dieses besondere Flair der lebenswerten Stadt. Bei wenigen neuen Stadtquartieren gelingt die lebenswerte Stadt. Und doch muss sie planerisches und politisches Ziel werden. Hierbei geht es auch nicht um irgendeine Parteiideologie oder die Verteufelung oder alternativ Beschwörung des Automobils. Es geht um die Basis für soziale Teilhabe, für ein Miteinander der Gesellschaft sprichwörtlich auf Augenhöhe, es geht um Klimaschutz, es geht auch um Gesundheit (Bewegungsmangel ist eines der größten Probleme der heutigen Gesellschaft und das ist vor allem ein volkswirtschaftliches Thema).

Es geht bei Architektur und Stadtplanung, auch bei Freiraumplanung viel weniger um Form, sondern „um die Interaktion von Form und Leben, also um die Dinge, die sich zwischen Häusern abspielen. Dieses Leben zwischen den Häusern ist zugegebenermaßen komplizierter zu planen als irgendein vermeintlich großartiges Stück Architektur. Was auch der Grund ist, weshalb es so selten versucht wird.“

Diesem Satz von Jan Gehl ist nichts hinzuzufügen, außer, dass wir es dennoch versuchen sollten.