Zum Wohnen braucht es Häuser, zum Leben Parks: der Park am Gleisdreieck in Berlin
Der Fokus der Stadtentwicklung liegt seit je her auf dem gebauten Raum. Das ist manchmal schade, denn das Lebenswerte einer Stadt wird viel stärker durch den Freiraum bestimmt. Vor allem Parks haben ein hohes Identifikationspotenzial für die Stadtgesellschaft – nicht zuletzt angesichts vieler zunehmend gesichtsloser, immer gleicher Gebäude.
Häuser sind die Voraussetzung für Wohnen, zum Leben braucht es Parks.
Der Park am Gleisdreieck ist so ein identifikationsstiftender Park. Er ist dies wegen seiner faszinierenden Vorgeschichte, auch wegen seiner Gestaltung, vor allem aber wegen der Art und Weise seiner Nutzungsangebote.
Seine Lage im Stadtgrundriss: in den Schnittpunkten verschiedener Bahnlinien und auf der Fläche zweier ehemaliger Güterbahnhöfe, von denen aus ab dem 19. Jahrhundert die wachsende Stadtbevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt werden konnte. Nirgendwo sonst kreuzen sich in Berlin so viele Wege aus Ost und West, Nord und Süd.
Seine Verortung im politischen Berlin: unmittelbar angrenzend an den das „großmannssüchtige“ Investorenallerlei Potsdamer Platz, zwischen Kreuzberg und Schöneberg im Spannungsfeld kiezorientierten Miteinanders und ausgeprägter Drogenszene.
Seine Geschichte: in den 1970er Jahren gehörten große Teile des Areals der Reichsbahn der DDR, eine vom sozialistischen Menschen befreite Enklave in der DDR, die dafür reichlich Raum bot für die alternative Szene (West)Berlins. In den frühen 1990er Jahren sollt hier eine Stadtautobahn gebaut werden, verhindert durch massive Proteste der Bürgerschaft. So blieb ein eingezäuntes Gelände, Spielball unterschiedlicher Interessen der Stadtpolitik. Die Sukzession tat ein Übriges und machte aus der Wildnis Wald. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde die Fläche genutzt für die Baulogistik des Potsdamer Platzes.
Dem Potsdamer Platz in all seiner Investorenmittelmäßigkeit sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt, denn die notwendigen Ausgleichszahlungen für die baulichen Eingriffe waren Voraussetzung für den Bau des Parks.
Das Ergebnis: kein kuscheliger Park mit einem lieblich überformten Gelände oder einer strengen und letztlich langweiligen Rasterung, oder harmonisch geschwungenen Wegen, hübschen Mauern und Sitzstufen oder den immer gleichen Spielplätzen für Kinder. Sondern ein Park mit mehr als 30 Hektar Fläche, wo der Himmel weiter nicht sein könnte, der mehr als anderswo in Berlin tatsächlich großstädtisch ist. Ein Ort, der offen mit der Industrie- und Stadtgeschichte als Bahnareal umgeht; ein Ort, der immer noch an vielen Stellen nach Infrastruktur aussieht; ein Ort der laut ist und gleichzeitig still. Ein Ort, in dem scheinbar alle ihren Platz finden: Hundebesitzer, Jogger, Skater, Familien mit Kindern, Gartenliebhaber, Sozialromantiker, Spaziergänger und Menschen, für die der Park Treffpunkt und Ausgleich vom hektischen Großstadtleben ist, arme Menschen, reiche Menschen. Ein urbaner Begegnungsort im besten Sinne, in dem man stets aufpassen muss, dass man nicht von rasenden Radfahrern umgefahren wird.
Das Konzept: einfach und durchdacht. Mit zentralen Rasen- und Wiesenflächen, seitlichen Baumsäumen und üppigen Resten des früheren Bahngelände-Ruderalwaldes. Dazu schnurgerade, breite Wege, an den Eingangs- und Randbereichen Spielplätze, Sportanlagen, Skateplätze, Sitzdecks und Flächen für Aufenthalt und Bewegung – alles sehr nutzungsoffen. Kleingärten, die erhalten bleiben konnten, Gemeinschaftsgärten, gestaltet ungestaltete Naturerfahrungsräume für Kinder, an den Eingängen Kioske und WC`s. Der Park hat eine intensive Programmierung, das ist so gewollt und hierbei dennoch mehr viel mehr als die Summe von Einzelteilen. Alle Angebote fügen sich wie selbstverständlich in den Raum ein, ergänzen sich und bilden so ein stimmiges Ganzes.
Das landschaftliche Narrativ ist nirgends aufgesetzt, sondern aus dem Ort heraus entwickelt und damit allgemein verständlich. Der offene Umgang mit den unterschiedlichen Zeitschichten schafft prägnante Raumbilder. Schotterflächen, die an die Bahngeschichte anknüpfen, ebenso wie speziell angepasste Staudenbeete oder die Prellböcke und Gleisreste, die sich überall im Park verstreut finden. Lediglich die Eingänge und Übergänge in die angrenzenden Stadtteile könnten offener gestaltet sein. Und die angrenzende Bebauung ist zumeist die typische gesichtslose Bebauung durch Bauträger. Über diese Mängel lässt sich jedoch wegschauen.
Das Besondere: seine Gestaltung und seine Nutzungsangebote sind niederschwellig und schließen niemanden aus. In seiner Gesamtheit bildet er die Pluralität der Stadtgesellschaft ab. Zudem ist eine Weiterentwicklung des Parks möglich und auch explizit gewünscht. Ein Park also, der nicht fertig ist und der unterschiedliche Aneignungen verträgt und will. Ein Ort des „weniger Reglementierten“ innerhalb unserer üblicherweise hochgradig determinierten und überregulierten Stadträume.
Und so verdient der Park den Namen Bürgerpark im besten Sinne. Bürgerinnen und Bürger haben den Park ermöglicht und sich für ihre Bedürfnisse eingesetzt. Bürgerinnen und Bürger nutzen den Park, eignen ihn sich an, ab morgens bis spät in die Nacht.
Und das ist eigentlich die gute Nachricht.