Von der wundersamen Wandlung der Waschbetonplatte
Viele kennen sie noch, zumindest wenn sie in den 1970er Jahren aufgewachsen sind. Waschbetonplatten prägten lange Jahre öffentliche Räume – als Bodenplatten und Pflanzkübel oder als Fassadenelemente. Auf Plätzen und Terrassen, in Freibädern, Hauseingängen, und Gärten wurden sie verbaut. In West wie in Ost. Sie kamen in einer Zeit in Mode, in der das Grobe und Rustikale eine bewusste Abgrenzung zum Glatten der Sechzigerjahrearchitektur markierte. Waschbetonplatten verbanden Kieselglanz mit dem Betonbrutalismus der neuen kolossartigen Bauwerke. Roher Beton und Waschbeton galten als ehrliche Baustoffe, die nicht mehr sein wollten als sie waren. In diesem brutal Ehrlichen des Betons sollte die Natursteinkieselstruktur eine Anmutung von Natürlichkeit schaffen, was Dank einer speziellen Oberflächenbehandlung möglich war, mit der die eingelegten Kiesel reingewaschen und als Oberfläche sichtbar wurden. Schon bald offenbarte das Brutal Ehrliche jedoch seine Tücken. Der funktional erscheinende Stoff erwies sich als pflegeintensiv. Vor allem Moosbefall machten aus dem Brutal Ehrlichen etwas Brutal Hässliches, dass in seiner groben, verschmutzten Anmutung zunehmend banal erschien und dem man (zumindest bei den Plattenbelägen) mit Hochdruckreinigern zu Leibe rücken musste.
Während sich bei den Hochbaukolossen der 1970er Jahre mittlerweile der Denkmalschutz zu Wort meldet, werden Waschbetonplatten in der Regel rigoros entsorgt und durch neues Beton- oder Natursteinpflaster ersetzt. Ressourcenschonend ist das nicht, vor allem weil viele neue Beläge in letzter Konsequenz auch nur ein Ausdruck aktueller Mode sind und in wenigen Jahren vermutlich genauso aus der Zeit fallen. Dramatisch wird das Entsorgen beim Blick auf die CO2-Bilanz. Die Bauwirtschaft ist für 40 % unseres Abfallaufkommens, für 40 % des Verbrauchs an Primärenergieressourcen und für 40 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Die Rohstoffe für das Bauen und auch für Beton werden der Erde entnommen und dann in einem weitgehend linearen Prozess verbraucht und entsorgt, trotz der mittlerweile jahrzehntelangen Bemühungen um Betonrecycling. Eine Revolution wäre, wenn Rohstoffe nur noch vorübergehend aus natürlichen oder soziotechnischen Kreisläufen entliehen werden. Die vom Menschen geschaffene Umwelt als einen temporären Zustand innerhalb eines endlosen Kreislaufs von Ressourcen zu verstehen, der sich mit dem bereits Bestehenden und genauso mit der Herstellung neuer Materialien beschäftigt, wäre ein radikaler Paradigmenwechsel für das Bauen und die Bauwirtschaft. Zirkuläres Bauen – im Hochbau gibt es dafür mittlerweile Ansätze. Beim Bau von Freiräumen (öffentlich wie privat) sind wir vom Zirkulären weit entfernt.
Dennoch gibt es einige Beispiele, die zeigen, dass zirkuläres Bauen im Freiraum möglich ist und eine besondere Ästhetik entfalten kann. Ein Beispiel, wie sich aus der Banalität der Waschbetonplatte etwas Neues erschaffen lässt, möchte ich hier zeigen.
2022 fand in Almere in der Nähe von Amsterdam die Floriade Expo 2022 statt. Sie versteht sich als Pendant zur Expo und will eine Gartenbau-Weltausstellung sein. Ich finde diese Großveranstaltungen mit Länderpavillons eigentlich extrem fragwürdig und bin nur hingefahren, weil ich ohnehin beruflich in Amsterdam war und Almere ganz in der Nähe ist. Gleichwohl findet man in diesen Ausstellungen immer Anregungen, über die es sich nachzudenken lohnt. Unter dem Titel Growning Green Citys -Wachsende grüne Städte wollte die Floriade zeigen, wie sich Planende Städte und Grün in Zeiten des Klimawandels vorstellen. Viele der Ausstellungsbeiträge hatten dabei gar nicht so viel mit Pflanzen zu tun, sondern waren auf bauliche Strukturen ausgerichtet. Abseits der repräsentativen Länderpavillons fand ich eher zufällig einen Ausstellungsbeitrag, der in seiner Grundidee radikal anders war.
Auf den ersten Blick war dieser Garten von außen her abweisend – abgegrenzt von Holzstapeln. Innen eröffnete sich jedoch eine Oase – ein geschützter, gerahmter und kreisrunder Freiraum, in der abgesenkten Mitte ein kleiner Teich. Irgendetwas war an der gesamten Gestaltung anders. Doch das erschloss sich erst nach einer Weile des Durchspazierens und Schauens. Sämtliche Mauern, Zäune, Mauerelemente, Wege und Beeteinfassungen bis hin zu Sitzplätzen und Regenabläufen bestanden aus Materialien und Baustoffen, die bereits ein anderes Leben gehabt hatten. Besonders augenfällig waren hunderte Waschbetonplatten, die hier anstatt als Wegebeläge als Mauern verbaut waren. Idee und Realisierung des Gartens gingen auf eine Vereinigung zurück, die sich Wilde Weelde nennt, wobei Weelde passenderweise für Reichtum, Fülle, Opulenz steht. Wilde Weelde ist ein Verband von Gärtnerinnen und Gärtnern, Landschaftsplanenden, Züchterinnen, Künstlern und Designerinnen, Baumpflegern und Lieferantinnen aus den gesamten Niederlanden, die umweltbewusst und mit einer ökologischen Vision arbeiten wollen. Wilde Weelde arbeitet nach einigen Grundprinzipien, wie biodivers und giftfrei, mit Wiederverwendung und nachhaltigem Materialeinsatz, klimafest und auf der Basis vorwiegend einheimischer Pflanzen. Das deutsche Pendant zu Wilde Weelde dürfte der Naturgarten e.V. sein, allerdings liegt deren Schwerpunktsetzung nach meinem Eindruck stärker auf der Pflanzenverwendung.
Selten hat mich eine Gestaltung mit ihrer Anmutung so emotional berührt. Auch wenn die Sicherheitsnormen für den öffentlichen Raum und für Kinderspielplätze, aber auch die notwendige Robustheit solcherart Gestaltungen im öffentlichen Raum nur bedingt erlauben, kann man von den Ideen lernen. Vor allem, dass es lohnt, mit Respekt und Demut dem Vorhandenen gegenüber zu treten. Neu ist zudem nicht unbedingt schöner, auch wenn Schönheit immer im Auge des Betrachtenden liegt. Schließlich tut unserer aufgeräumten Welt Wildnis gut, auch damit wir nicht vergessen, dass wir nur Gäste auf der Erde sind. Ich beschäftige mich privat schon länger mit der Wiederverwendung von Baumaterialien. Der Schaugarten in Almere hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, das Zirkuläre noch stärker zu betrachten.
Quellen:
Ausstellungsbeitrag von Wilde Weelde auf der Floriade Expo 2022
Waschbeton verschwindet aus dem deutschen Stadtbild, aus Johanna di Blasi, in HAZ vom 01.10.2010