Der andere Blick? – Was Coronakrise, Verkehrsplanung und Männer gemeinsam haben

„Wenn es um Mobilität geht, bestimmen seit Jahrzehnten vorwiegend Männer die Rahmenbedingungen“, so stand es in der aktuellen Ausgabe der Veloplan (einer übrigens sehr ansprechenden, neuen Zeitschrift über Radmobilität. Auch wenn man die aktuelle Krisensituation anschaut, fällt eines auf. Die Krisenmanager sind, abgesehen von der Bundekanzlerin,  überwiegend Männer. Dazu kommt: wer sich jetzt beweist, überlegte und nachvollziehbare Entscheidungen trifft, die richtigen Worte wählt, empfiehlt sich für Größeres. Krisen machen Karrieren – Männerkarrieren.

Doch wo sind eigentlich die Frauen geblieben? Im homeoffice, wo sie  neben ihrer Arbeit die Beschulung, die Kindergartenbetreuung und das häusliche Kulturprogramm managen. Wo sie versuchen, den Alltag am Laufen zu halten, den Einkauf erledigen, der umständlich geworden ist mit dem im heutigen Deutschland ganz ungewohntem Phänomen des in der Schlange stehen. Dazu kommen Haushalt (das ist anders und meistens gibt es mehr zu tun, wenn alle daheim sind) und ein höherer Aufwand beim Kochen. Wenn Restaurants geschlossen haben, muss irgendjemand für das Mittagessen sorgen. Das sind meistens Frauen. Frauen tragen die Hauptlast, auch bei der Pflege und dem irgendwie Aufrechterhaltens des Kontaktes  mit betagten Angehörigen, die jetzt Risikogruppen heißen. Frauen tragen die emotionale Last, wenn Nerven zunehmend blank liegen. Vor allem berufstätige Mütter werden in der Öffentlichkeit aktuell immer unsichtbarer. Sie sind regelrecht verschwunden. In erschreckender Weise vollzieht unsere Gesellschaft eine, nein zwei Rollen rückwärts. Denn diese Situation geht auch an den Männern nicht spurlos vorüber. Nicht wenige Männer fallen in längst überkommende, patriarchal konnotierte Rollenmuster zurück. Das Schlimmste ist, dass Frauen offenbar gerade überhaupt keine Zeit haben, für ihre Belange einzutreten. Zudem sind schlechter vernetzt. Für für viele jüngere Frauen ist Feminismus ein Schimpfwort, stand ihnen die Welt doch grenzenlos offen. Wozu braucht es da Lobbygruppen.

Und was hat das mit Verkehrsplanung zu tun? Landaus landab wird über die Mobilitätswende diskutiert. Doch tatsächlich betreiben wir vielfach vor allem Verkehrsplanung aus einem technisch- funktionalen Blickwinkel. Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die fachlichen Begrifflichkeiten. Mobilität ist per Definition die Beweglichkeit von Personen zur Befriedigung von Bedürfnissen durch Raumveränderung. Verkehr wiederum ist das Instrument, welches für die konkrete Umsetzung von Mobilität benötigt wird. Verkehr umfasst Fahrzeuge, Infrastrukturen und die Verkehrsregeln (aus: Becker, Gerike, Völlings: Gesellschaftliche Ziele von und für Verkehr. In: Heft 1 der Schriftenreihe des Instituts für Verkehr und Umwelt e.V., 1999). Verkehr ist also nur das Instrument zur Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, Verkehrsplanung ist das fachliche Mittel.

Mobilitätsbedürfnisse sind je nach persönlicher Lebenssituation und Arbeitswelten unterschiedlich. In der Betrachtung der  zurückgelegten Wege gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Männer legen durchschnittlich 46 km am Tag zurück, Frauen 33 km (Mobilitätsatlas, Daten und Fakten für die Mobilitätswende, 2019). Auch die Verkehrsmittelwahl bezogen auf die zurückgelegten Wege ist unterschiedlich. Während die Nutzung des öffentlichen Verkehrs  nahezu gleich ist, zeigt sich bei den mit dem Auto zurückgelegten Wegen ein krasser Unterschied. Männer legen mit dem Auto 29 km am Tag zurück, Frauen nur 14. Der Mobilitätsatlas schreibt deshalb treffend: „Insgesamt dürfen Straßen mit viel Autoverkehr als männlich dominiert gelten.“

Auch die Mobilitätsmuster sind unterschiedlich und spiegeln weitgehend fest verteilte Rollen im Alltag wieder. Dies sei anhand zweier „Extreme“ dargestellt.

Der berufstätige Mann: Das Mobilitätsmuster ist dreiecksförmig zwischen Wohnung  – Freizeit –   Arbeitsort. Die multimodalen Verknüpfungen und Interaktionen im öffentlichen Raum sind gering. Die Wege sind länger.

Die berufstätige Frau mit Kindern: Das Mobilitätsmuster ist netz- bzw. sternförmig zwischen  Wohnung –  Freizeit – Wohnung – Eltern/Freunde – Freizeit der Kinder – Wohnung – Schule/Kita – Einkaufen –  Arbeitsort. Die multimodalen Verknüpfungen und Interaktionen im öffentlichen Raum sind hoch. Die Wege sind kürzer, dafür häufiger.

 

Die Berliner Mobilitätsberatung „White Octopus“ formulierte deshalb in einer aktuellen Studie zu Recht, dass Mobilität nichts geschlechtsneutral ist und männliche Vorlieben haben kann (aus: A Man´s world. In: Veloplan 1/2020).

Schließlich kommt auch noch dazu, dass sich die Wahrnehmung der konkreten Bedingungen im öffentlichen Raum und bei der Mobilität unterscheidet. Eine Umfrage des Tagesspiegels  zur Radverkehrssituation in Berlin zeigt, dass 41 % der befragten Frauen große Angst haben beim Radfahren, hingegen nur 11 % der Männer (fairkehr, 2/2020). Viele Situationen, die Männer als vollkommen normal wahrnehmen, bereiten Frauen so viel Unbehagen, dass sie in Vermeidungsstrategien übergehen und damit im schlimmsten Fall ihr Mobilitätsverhalten einschränken. Zu dichtes Überholen, aggressives Verhalten, parkende Autos auf Radwegen, schlechter Zustand von Geh- und Radwegen, zum schmale Geh- und Radwege, nicht ausreichend ausgeleuchtete Wege und Straßen, fehlende Bänke zum Ausruhen und überhaupt zu wenig Platz im öffentlichen Raum – darunter leiden vor allem Frauen, Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen.

Diese Fakten haben bisher zu wenig Eingang in die Planung gefunden. Verkehrsplanende sind überwiegend Männer und betrachten die Welt aus ihrem meist technisch-funktionalen Blickwinkel und auch aus dem Selbstverständnis heraus, dass Männer mehr Raum in der Gesellschaft sowie den politischen und fachlichen Debatten haben. Auch die meisten politisch-fachlichen Entscheidungen zu Verkehrsplanungen werden durch Männer getroffen, denn Bürgermeister und Gemeinderäte sind häufiger Männer. Auch die Partizipations- und Beteiligungsstrategien berücksichtigen die unterschiedlichen Blickwinkel nicht. In den Beteiligungsveranstaltungen zu Verkehrsthemen sitzen überwiegend Männer, jenseits der 60, ausgestattet mit einem gesegneten Sendungsbewusstsein und unerschütterlichem Bewusstsein dafür, was richtig und was falsch ist.

Dabei könnte das Verständnis der unterschiedlichen und anderen Perspektiven die Mobilität aller verbessern. All das zeigt sich in der aktuellen Situation, in der plötzlich mehr zu Fuß gegangen und deutlich mehr Rad gefahren wird, in der der öffentliche Raum und der Verkehrsraum eine ganz neue Bedeutung bekommen und in der die Defizite unserer öffentlichen Räume für alle, auch für die Männer, plötzlich sehr deutlich zu Tage treten. Mobilitätswende und das Leitbild der menschengerechten Stadt können deshalb nur erfolgreich sein, wenn andere als die jahrzehntelang vorherrschenden Sichtweisen berücksichtigt werden. Und damit sich wirklich etwas ändert, reicht es nicht, wenn sich Männer in die Bedürfnisse „anderer“ hineinversetzen. Es braucht den Blick und die Sichtbarkeit der Frauen, es braucht mehr Partizipationsprozesse, die Frauen und Kinder berücksichtigen, Befragungen, die gezielt nach den Bedürfnissen von Frauen fragen, es braucht mehr Verkehrsplanerinnen und Entscheiderinnen. Und es braucht auch die Bereitschaft von Frauen, sich einzumischen. Es braucht den anderen Blick – und schon allein, dass schreiben zu müssen, macht irgendwie auch traurig.

Am Brunnen vor dem Tore da steht kein Brunnen mehr– über Brunnen, Stadt und Heimat

Vor einigen Jahren musste ich einen Brunnen zuschütten: ein Wasserspiel aus den 1950er Jahren. Fontänen und Beleuchtung waren schon lange dem Vandalismus zum Opfer gefallen, das einstmals blaue, nun verblichene leere Brunnenbecken fristete über Jahre ein trauriges Dasein. Der Standort? Direkt vor dem Bahnhof einer kleinen Großstadt im Südwesten Deutschlands, die sich bemüht, mehr zu sein als sie ist. Was für ein Willkommensgruß. Die städtische Grünflächenabteilung, die ich seinerzeit geleitet habe, hätte den Brunnen gern saniert. Wir rechneten und prüften, machten Pläne und Vorschläge. Doch bürgermeisterliches Desinteresse (Zitat: „Schüttet das Sch…ding zu“), zögerliche Stadträte, die die Sanierungskosten nicht wahrhaben wollte („Ihr habt das doch teuer gerechnet, das geht billiger“), und der eisige Wind kahlschlagender großstädtischer Stadtentwicklungspläne fegten über den Brunnen hinweg. Danach fegte über meine Kollegen und mich ein Sturm öffentlicher Empörung, waren wir doch diejenigen, die im Rampenlicht standen und das Brunnenbecken zugeschüttet hatten. Örtliche Zeitung und Bildertanz, ein abgeklärt kluger und mitunter romantisch verklärender Bilderblog, kommentierten das Geschehen bissig. Über Wochen und bis heute entrüsteten sich Bürgerinnen und Bürger.

Was kaum jemand auf dem Schirm hatte: viele Menschen fühlten sich mit dem Brunnen verbunden. Sonntägliche Spaziergänge in Kindheit und Jugend, später der schnelle Blick aus dem Auto, Willkommens- und Abschiedsbild bei Reisen mit der Bahn – der Brunnen als seelisches Erinnerungsstück einer Stadt und Symbol für die Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre, als alles besser und vieles schnell vergessen werden sollte. Der Brunnen – nach dem Zuschütten wurde es offensichtlich – war offenbar ein Stück Heimat.

Der Begriff Heimat wird aktuell inflationär verwendet, hat es sogar in den Titel eines Bundeministeriums geschafft. Doch was ist Heimat wirklich? Als Begriff gewann Heimat erst mit der Industrialisierung und der rasanten Urbanisierung im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Und bis heute hat er immer dann Konjunktur, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse rasant verändern: durch Wachstum, Ein- und Auswanderungswellen, Globalisierung, Digitalisierung. Heimat wird dann zum kulturellen Sehnsuchtsort.

Doch über die kulturelle Deutung von Heimat als Gefühl hinaus wird der Begriff zunehmend auch politisch besetzt, als fühlbares Gegenstück zur modernen, schnellen und kalten Gesellschaft. Die Süddeutsche schrieb am 2. Januar 2018 dazu: „Heimat ist also größer als die Familie und kleiner als das Vaterland. Damit beschreibt sie eine Sphäre von „Gemeinschaft“ vor dem Abstraktum der modernen „Gesellschaft““ und weiter „“Heimat“ wird so zu einer eigentümlich vorpolitischen Sphäre, die mit allerlei Gefühls- und Erinnerungswerten aufgeladen wird.“ (Gustav Seibt: Was ist Heimat? Ein gutes Gefühl. In Süddeutsche Zeitung 02.01.2018)

Und hier findet sich der Anknüpfungspunkt zu den Brunnen: Brunnen finden sich irgendwo zwischen Familie und Vater(Mutter)land. Brunnen waren und sind Symbole städtischen Lebens, Ausdruck der Verfasstheit einer Stadt, auch Zeichensetzungen – der Mächtigen wie auch der Bürger. Als gebaute Objekte sind sie Zeitzeugen des Erinnerns an vergangene Zeit. Sie sind emotionale Ankerpunkte im Stadtgrundriss, Brunnenplätze sind Orte des städtischen Miteinanders – und zwar des tatsächlichen, nicht nur des verordneten oder herbeigeredeten Miteinanders.

Brunnen sind natürlich noch viel mehr: das Spiel des Wassers erfreut und erfrischt. Und gibt es etwas Schöneres, als am Brunnen zu sitzen und zu entspannen? Oder Kindern beim Toben im Wasser zuzusehen? Wasser spricht alle Sinne an und wie kaum ein anderes Stadtelement erzeugen Brunnen kleine glückliche Momente im hektischen Alltag.

Das ist der Grund, warum sich Menschen empören, wenn Brunnen nicht funktionieren oder stillgelegt werden. Das ist der Grund, warum sich Menschen einsetzen für Erhalt, Pflege und Sanierung vorhandener oder auch den Bau neuer Brunnen.

Beispiele gibt es reichlich: z.B. Die Europäische Brunnengesellschaft in Karlsruhe. Beharrlich holt sie vergessene Brunnen und ihre Geschichten ans Licht der Öffentlichkeit, saniert Brunnen und organisiert Ausstellungen. In Stuttgart gibt es die Stiftung Stuttgarter Brünnele. In einigen Städten gibt es Patenschaften. Magdeburg hat vor einigen Jahren ein Brunnensponsoring ins Leben gerufen. Abgesehen von einigen wenigen Hauptbrunnen laufen die Wasserspiele nur, wenn sich Sponsoren für den Betrieb finden. Dieses Jahr kamen 40.000 Euro zusammen. Auch ich sponsere dort für den Betrieb eines Brunnens, zusammen mit meiner Schwester und ihren Nachbarn finanzieren wir den historischen Brunnen im Möllenvogteigarten im Domviertel. Man kann das auch durchaus kritisch sehen. Brunnen sind schließlich eine städtische Aufgabe, so wie Rasen mähen, Mülleimer leeren, Spielplätze pflegen. Doch ich spende nicht, weil die Stadt diese Aufgabe nicht übernehmen könnte. Eine Stadt, die das Geld für ihre Brunnen nicht aufbringen kann, kann ohnehin alles andere auch vergessen. Ich spende, weil ich dankbar bin, weil es meine Geburtsstadt ist und ich mich so verbunden fühle. Ich spende, weil ich so etwas zurückgeben kann von dem, was mir die Stadt gegeben hat. Ganz in Anlehnung an Pippi Langstrumpf: Warte nicht darauf, dass die Menschen dich anlächeln. Zeige Ihnen, wie es geht! –Warte nicht drauf, dass die Stadt etwas für dich tut, sondern tue selbst etwas. Denn Brunnen sind offensichtlich ein Stück Heimat.

Vor kurzem habe ich ein interessantes Beispiel in Pirna entdeckt. Bei Bauarbeiten wurde 2016 ein Wasserspeicher aus dem 13. Jahrhundert freigelegt. Die Stadtverwaltung schuf Tatsachen ließ ihn verfüllen. Dabei gibt es eine Initiative (Pirnaer Brunnen), die über 10.000 Euro Spenden gesammelt hat, um den Schacht sichtbar und erlebbar zu machen. Es folgte eine nun schon 2 Jahre währende kommunalpolitische Diskussion, immer noch nicht abgeschlossen, die vor allem eines zeigt: das Thema ist emotional besetzt und sollte von den Städten und ihren Administrationen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Eine Stadtplanung und Stadtpolitik, die ihre Brunnen vergisst, macht etwas falsch. Das sage ich nicht, weil Brunnen mein Spezialthema sind. Das sage ich, weil es eben nicht nur um das Bauen von immer neuen, wie auch immer gestalteten Wohnhäusern geht oder um Straßen, Schulen, Kindergärten, Gewerbegebiete, sondern auch um das Erzeugen von unverwechselbarer Stadtidentität, also um Heimat. Das geht nur über ein Stadtbild, welches Abwechslung bietet und individuell ist, über einen Stadtgrundriss, der im Maßstab angepasst ist und der Menschen verbindet und zusammenführt. Das geht nur über eine Stadt, die auf der emotionalen Ebene positiv anspricht.

Brunnen und ihre Plätze stehen für dieses Positive: in ihnen mischen sich Baukunst und emotionales Erleben, Politik und Gemeinschaft, Ästhetik, Tradition und soziales Miteinander – und das schafft Heimat. Manchmal wird das, wie beim Listplatzbrunnen in Reutlingen, erst klar, wenn etwas nicht mehr da ist. Denn was Heimat wirklich bedeutet, erfährt man vor allem im Verlust.

Nachtrag

Letztes Jahr wollte ich eine Initiative für die Reaktivierung des Listbrunnens gründen und habe Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht. Das hat ziemlich Wellen geschlagen: die Reaktionen auf FB reichten von Begeisterung und „JA, ICH BIN DABEI“ bis hin zu „WOFÜR EIGENTLICH BÜRGERENGAGEMENT,WENN DIE STADT DAS GELD AN ANDERER STELLE ZUM FENSTER RAUSWIRFT“ oder „DIE BEI DER STADT SOLLEN ERST EINMAL IHRE HAUSAUFGABEN MACHEN; DANN ENGAGIEREN WIR BÜRGER UNS VIELLEICHT AUCH“. Interessant auch die Reaktionen einiger Stadträte, die erhebliche Vorbehalte hatten nach dem Motto: Bürgerengagement ja, aber bitte in geregelten, kontrollierten Bahnen.

So wird das natürlich irgendwie nichts mit dem Brunnen, stetig sind nur die Klagelieder regelmäßig in den Posts. Es bleibt festzuhalten: Eine Stadt hat die Brunnen, die sie verdient.

 

Verweise

Bildertanz Reutlingen: rv-bildertanz.blogspot.com/

Süddeutsche Zeitung vom 02.01.2018 http://www.sueddeutsche.de/kultur/sz-serie-was-ist-heimat-ein-gutes-gefuehl-1.3802786)

Pirnaer Brunnen: https://www.facebook.com/PirnaerBrunnen/

Stiftung Stuttgarter Brunnen: www.stiftung-stuttgarter-bruennele.de/

Europäische Brunnengesellschaft Karlsruhe: www.brunnengesellschaft.de/

Hühnerglück und Weltrettung

Eigentlich schreibe ich hier über Freiräume und Stadtpolitik –  nicht über Hühner. Doch irgendwie steht eben doch alles in einem großen Zusammenhang: Klimaschutz mit menschengerechter Stadtplanung, mit Artenvielfalt und sogar mit Hühnern.

Diese Woche wollte ich Hühner kaufen, um unseren Bestand an Hennen etwas zu verjüngen und zu vergrößern. Wie jedes Jahr. Dazu gibt es auf dem Dorf den Hühnerbus. Der kommt paar Wochen und liefert junge Hühner.

Normalerweise. Denn diesen Herbst gibt es keine jungen Hühner mehr zu kaufen, nirgendwo. Die privaten Hühnerhalter haben alle ihre Bestände vergrößert, um die wachsende Nachfrage nach Eiern zu befriedigen. Das ist eine gute Nachricht. Mehr Menschen wollen wieder Eier aus Kleinhaltungen und nicht mehr aus mehr oder weniger quälerischen Massenhaltungen. Hoffentlich hält der Trend an und ist nicht nur ein kurzfristiger Peak angesichts des zurückliegenden Fipronil-Skandals, der letztlich nur einer unter vielen und sicher nicht der letzte ist.

Erwartbar wäre in den letzten Jahren gewesen, dass die private Hühnerkleinhaltung ausstirbt. Zu viel Arbeit, zu viel Beschränkung und im Supermarkt gibt es schließlich immer ausreichend Eier. Die Veterinärämter scheinen private Hühnerhaltung ohnehin kritisch zu sehen und das Bundeslandwirtschaftsministerium ist immer noch mit den Großproduzenten verheiratet. So muss die Vorgabe, Hühner aus Kleinbeständen in Vogelgrippezeiten ganztägig in den Stall zu sperren, von genau solchen praxisfernen Bürokratiestühlen verordnet worden sein, die bei den Massentierhaltungen mit ihrem oft unendlichem Tierleid großzügig über Verstöße wegschauen und verkennen, dass das eigentliche Problem für die Vogelgrippe eher in den riesigen Massentierhaltungen im Norden Deutschlands liegen könnte.

Was heist eigentlich Kleinhaltung?

Kleinhaltung heisst beim Bauern nebenan kaufen oder bei Hobby-Haltern, so wie wir es sind. Das ist nicht zwangsläufig ökologischer. Aber aus Kleinhaltungen kaufen bedeutet vor allem: überschaubare Bestände mit  10 bis 50 Hühnern und nah. Gut für Mensch und gut für das Huhn.  Aus Kleinhaltungen kaufen, heisst Regionalität zu unterstützen und lokale Kreisläufe – beim Hühnermist und beim Futter, wenn das Getreide beim örtlichen Landhandel bezogen wird. Aus Kleinhaltungen kaufen heisst meistens auch, dass die Eierkäufer die Hühner kennenlernen wollen und sich dann auch damit auseinandersetzen, was Hühner fressen, wie Hühner leben und auch, dass sie nicht jeden Tag ein Ei legen und Sonntags schon gar nicht zwei.

An dieser Stelle in aller Deutlichkeit: Hühner sind nicht dumm. Sie leben in einer Horde mit einer sorgsam austarierten Hackordnung und wissen sehr genau zu unterscheiden, was lecker und was weniger lecker ist. Viel mehr braucht ein Huhn nicht, um glücklich zu sein. Wir haben mittlerweile einen fröhlichen Nahrungsmittelkreislauf installiert: Unsere Kunden erhalten Eier, unsere Hühner bekommen im Gegenzug Brotreste, Gemüse- und Salatreste, manchmal Nudeln oder Reis (mögen sie besonders gern). Damit gibt es keine unnötigen Essensreste mehr für den Müll, die Hühner danken es mit prächtigen Eiern. Nur wenn der Fuchs kommt, sind Hühner hilflos.

Wir könnten doppelt so viele Menschen mit frischen Hühnereiern von freilebenden Hühnern versorgen, die glücklicher und ökologischer nicht sein könnten. Gut. Und welches Huhn hat schon eigene Wiesen, Hecken, Apfel- und Birnbäume und einen Nussbaum, unter dem sich wunderbar grasen lässt – alles giftfrei.

Unsere Eierkäuferinnen müssen sich diesen Winter beschränken und damit auseinandersetzen, dass Nahrungsmittel immer noch mit Natur zu tun haben und dass Verzicht nicht grundsätzlich schlecht sein muss. Denn klar ist, so ein mühsam gelegtes Hühnerei ist kein Massenprodukt und Eier müssen keine tägliche Kost sein.

Und das ist gut so.

 

Deutschland, die Städte, der Klimaschutz und Aldi

Der Wahlkampf ist zu Ende. Das aufgeregte Wortwechselgetöse, häufig frei von sachlichen Argumenten oder einlullend im Weiter so, hatten ohnehin die Grenze der Unerträglichkeit schon längst überschritten. Und trotz des Beschwörens der Demokratie durch vorgebliche Demokraten: erstmals ist eine Partei in den Bundestag eingezogen, die nicht nur rechtslastig ist, sondern die auch den menschengemachten Klimawandel leugnet.

Wobei… vielleicht ist das ja nur konsequent. Denn wenn der Klimawandel so gravierend sein soll, wie es von besserwissenden Wissenschaftlern und Journalisten behauptet wird, warum hat die Bunderegierung dann in den letzten Jahren so wenig getan und verfehlt ihre aktuellen Klimaziele krachend?

Deutschland, das Land der Verkünder: Weltmeister der Klimaziele, Weltmeister der Digitalisierung, Weltmeister bei sauberen Autos, Weltmeister bei den erneuerbaren Energien, Weltmeister im Fußball. Letzteres stimmt immerhin. Es ist wie bei des Kaisers neuen Kleidern. Es wird verkündet und behauptet und alle sollen daran glauben, auch wenn die Realität eine andere ist.

So wie es bei der Bundesregierung ist, ist es auch in den Städten. Da werden Klimaschutzmanager eingestellt, zum Verwalten der Verkündigungen der Oberbürgermeister und Bürgermeister. Es werden Klimaschutzpläne verabschiedet, an deren Einhaltung niemand glaubt, denn sie propagieren Verzicht und würden das Wachstum beschränken. Es werden große Worte geschwungen, denen kaum Taten folgen. Die meisten Oberbürgermeister und Bürgermeister fahren hemmungslos jede noch so kurze Strecke mit ihren großen deutschen Autos, denn das macht sie wichtig. Sie fliegen zu hochwichtigen Konferenzen, in denen sie andere hochwichtige Menschen treffen. Manchmal steigen sie auch auf das Rad, wenn ein Pressetermin zum Klimaschutz ansteht. Man gehört ja zu den Guten. Die städtischen Klimaschutzmanager (meist sind das wirkliche Überzeugungstäter) werden insgeheim ausgelacht und müssen gleichzeitig Vorlagen und Redemanuskripte für ihre Oberbürgermeister und Bürgermeister schreiben, in denen sie über vermeintliche Klimaschutzerfolge jubeln.

Der Kaiser steht nicht mehr in Unterhosen, er ist nackt. Macht aber auch nichts.

Klimaschutz klingt leider immer sehr abstrakt. Wen interessiert schon, dass die Erderwärmung Probleme für die Landwirtschaft mitbringt, z.B. viele Apfelsorten hier nicht mehr wachsen? Egal, holen wir die Äpfel aus Neuseeland. Oder dass es an Sommertagen mittlerweile in vielen Innenstädten unerträglich heiß ist? Ist doch schön, bis spät in die Nacht draußen zu sitzen. Und warum sollte es etwas machen, wenn wir systematisch unsere Böden zerstören, durch Nitrate, Glyphosat und ähnliches? Solange auf der Milchverpackung im Supermarkt eine glückliche Kuh aufgedruckt ist, ist doch alles in Ordnung. Wen stört es schon, wenn die Luft in den Städten stickig ist? Viel schlimmer ist es im Stau zu stehen. Die Rettung E-Auto? Die lösen zwar nicht das Problem des Platzmangels, aber es klingt beruhigend. Abnehmende Artenvielfalt? Es ist doch irgendwie auch schön, wenn die Autoscheiben nicht mehr mit Insektenleichen verklebt werden. Und was ist denn schlimm an industrieller Massentierhaltung? Das bisschen Tierquälerei, die paar Treibhausgase, die paar Krankheiten wie Vogelgrippe und Rinderwahnsinn. Worüber regen sich diese ideologisch verbrämten Veganer eigentlich auf?

Doch nun sind wir auf einen Schlag gerettet. Denn wenn sich schon unsere Bunderegierung, unsere  Landesregierungen, unsere Oberbürgermeister und Bürgermeister nicht sorgen, sorgt sich jetzt ALDI um den Klimaschutz. ALDI sorgt sich um die Nachhaltigkeit, bekennt sich zu klimaneutralen Filialen, fördert das bewusste Einkaufen und auch noch Tierwohl-Maßnahmen. Und ALDI kümmert sich.

Wie gut.

Ich muss mich nicht mehr sorgen. Vor allem muss ich nichts mehr tun, denn das erledigt jetzt ALDI für mich. Ich kann einfach genauso weiter machen wie bisher: Milch, Käse und Wurst aus industrieller Massentierhaltung von sonstwoher kaufen, Eier aus Hühnerfabriken, kalorienhaltiges Fertigessen mit künstlichen Aromastoffen, Saisongemüse zu jeder Jahreszeit, wöchentlichen Sonderbilligangebote aus China.

Und schon gar nicht muss ich weniger Strom verbrauchen, weniger Autofahren, mich mehr bewegen, weniger und gesünder kochen und essen. Ist eh zu viel Beschränkung.

Wie schön, denn Aldi erledigt das für mich. Und doch sorge ich mich.

Mehr dazu unter: https://www.klimafakten.de/meldung/was-sagt-die-afd-zum-klimawandel-was-sagen-andere-parteien-und-was-ist-der-stand-der

Wenn Wasserfontänen Dächer bekommen

Da wird erst großflächig schwarzes Basaltpflaster verlegt und Schatten gibt es auch keinen auf dem weitgehend freien Platz ohne Bäume. Möglicherweise hat man sich gewundert, dass es trotz einiger Fontänen auf dem Platz heiß wird, zumal bei über 30 ° C wie in den letzten Tagen. Und damit die Kinder und ihre Eltern keinen Hitzschlag bekommen, gibt es ein Dach.

Was für ein grandioser Blödsinn. Mann sollte sich planerisch vorher überlegen, ob und wie ein Platz genutzt werden soll.