Der andere Blick? – Was Coronakrise, Verkehrsplanung und Männer gemeinsam haben

„Wenn es um Mobilität geht, bestimmen seit Jahrzehnten vorwiegend Männer die Rahmenbedingungen“, so stand es in der aktuellen Ausgabe der Veloplan (einer übrigens sehr ansprechenden, neuen Zeitschrift über Radmobilität. Auch wenn man die aktuelle Krisensituation anschaut, fällt eines auf. Die Krisenmanager sind, abgesehen von der Bundekanzlerin,  überwiegend Männer. Dazu kommt: wer sich jetzt beweist, überlegte und nachvollziehbare Entscheidungen trifft, die richtigen Worte wählt, empfiehlt sich für Größeres. Krisen machen Karrieren – Männerkarrieren.

Doch wo sind eigentlich die Frauen geblieben? Im homeoffice, wo sie  neben ihrer Arbeit die Beschulung, die Kindergartenbetreuung und das häusliche Kulturprogramm managen. Wo sie versuchen, den Alltag am Laufen zu halten, den Einkauf erledigen, der umständlich geworden ist mit dem im heutigen Deutschland ganz ungewohntem Phänomen des in der Schlange stehen. Dazu kommen Haushalt (das ist anders und meistens gibt es mehr zu tun, wenn alle daheim sind) und ein höherer Aufwand beim Kochen. Wenn Restaurants geschlossen haben, muss irgendjemand für das Mittagessen sorgen. Das sind meistens Frauen. Frauen tragen die Hauptlast, auch bei der Pflege und dem irgendwie Aufrechterhaltens des Kontaktes  mit betagten Angehörigen, die jetzt Risikogruppen heißen. Frauen tragen die emotionale Last, wenn Nerven zunehmend blank liegen. Vor allem berufstätige Mütter werden in der Öffentlichkeit aktuell immer unsichtbarer. Sie sind regelrecht verschwunden. In erschreckender Weise vollzieht unsere Gesellschaft eine, nein zwei Rollen rückwärts. Denn diese Situation geht auch an den Männern nicht spurlos vorüber. Nicht wenige Männer fallen in längst überkommende, patriarchal konnotierte Rollenmuster zurück. Das Schlimmste ist, dass Frauen offenbar gerade überhaupt keine Zeit haben, für ihre Belange einzutreten. Zudem sind schlechter vernetzt. Für für viele jüngere Frauen ist Feminismus ein Schimpfwort, stand ihnen die Welt doch grenzenlos offen. Wozu braucht es da Lobbygruppen.

Und was hat das mit Verkehrsplanung zu tun? Landaus landab wird über die Mobilitätswende diskutiert. Doch tatsächlich betreiben wir vielfach vor allem Verkehrsplanung aus einem technisch- funktionalen Blickwinkel. Deshalb an dieser Stelle ein kurzer Blick auf die fachlichen Begrifflichkeiten. Mobilität ist per Definition die Beweglichkeit von Personen zur Befriedigung von Bedürfnissen durch Raumveränderung. Verkehr wiederum ist das Instrument, welches für die konkrete Umsetzung von Mobilität benötigt wird. Verkehr umfasst Fahrzeuge, Infrastrukturen und die Verkehrsregeln (aus: Becker, Gerike, Völlings: Gesellschaftliche Ziele von und für Verkehr. In: Heft 1 der Schriftenreihe des Instituts für Verkehr und Umwelt e.V., 1999). Verkehr ist also nur das Instrument zur Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen, Verkehrsplanung ist das fachliche Mittel.

Mobilitätsbedürfnisse sind je nach persönlicher Lebenssituation und Arbeitswelten unterschiedlich. In der Betrachtung der  zurückgelegten Wege gibt es große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Männer legen durchschnittlich 46 km am Tag zurück, Frauen 33 km (Mobilitätsatlas, Daten und Fakten für die Mobilitätswende, 2019). Auch die Verkehrsmittelwahl bezogen auf die zurückgelegten Wege ist unterschiedlich. Während die Nutzung des öffentlichen Verkehrs  nahezu gleich ist, zeigt sich bei den mit dem Auto zurückgelegten Wegen ein krasser Unterschied. Männer legen mit dem Auto 29 km am Tag zurück, Frauen nur 14. Der Mobilitätsatlas schreibt deshalb treffend: „Insgesamt dürfen Straßen mit viel Autoverkehr als männlich dominiert gelten.“

Auch die Mobilitätsmuster sind unterschiedlich und spiegeln weitgehend fest verteilte Rollen im Alltag wieder. Dies sei anhand zweier „Extreme“ dargestellt.

Der berufstätige Mann: Das Mobilitätsmuster ist dreiecksförmig zwischen Wohnung  – Freizeit –   Arbeitsort. Die multimodalen Verknüpfungen und Interaktionen im öffentlichen Raum sind gering. Die Wege sind länger.

Die berufstätige Frau mit Kindern: Das Mobilitätsmuster ist netz- bzw. sternförmig zwischen  Wohnung –  Freizeit – Wohnung – Eltern/Freunde – Freizeit der Kinder – Wohnung – Schule/Kita – Einkaufen –  Arbeitsort. Die multimodalen Verknüpfungen und Interaktionen im öffentlichen Raum sind hoch. Die Wege sind kürzer, dafür häufiger.

 

Die Berliner Mobilitätsberatung „White Octopus“ formulierte deshalb in einer aktuellen Studie zu Recht, dass Mobilität nichts geschlechtsneutral ist und männliche Vorlieben haben kann (aus: A Man´s world. In: Veloplan 1/2020).

Schließlich kommt auch noch dazu, dass sich die Wahrnehmung der konkreten Bedingungen im öffentlichen Raum und bei der Mobilität unterscheidet. Eine Umfrage des Tagesspiegels  zur Radverkehrssituation in Berlin zeigt, dass 41 % der befragten Frauen große Angst haben beim Radfahren, hingegen nur 11 % der Männer (fairkehr, 2/2020). Viele Situationen, die Männer als vollkommen normal wahrnehmen, bereiten Frauen so viel Unbehagen, dass sie in Vermeidungsstrategien übergehen und damit im schlimmsten Fall ihr Mobilitätsverhalten einschränken. Zu dichtes Überholen, aggressives Verhalten, parkende Autos auf Radwegen, schlechter Zustand von Geh- und Radwegen, zum schmale Geh- und Radwege, nicht ausreichend ausgeleuchtete Wege und Straßen, fehlende Bänke zum Ausruhen und überhaupt zu wenig Platz im öffentlichen Raum – darunter leiden vor allem Frauen, Kinder und mobilitätseingeschränkte Menschen.

Diese Fakten haben bisher zu wenig Eingang in die Planung gefunden. Verkehrsplanende sind überwiegend Männer und betrachten die Welt aus ihrem meist technisch-funktionalen Blickwinkel und auch aus dem Selbstverständnis heraus, dass Männer mehr Raum in der Gesellschaft sowie den politischen und fachlichen Debatten haben. Auch die meisten politisch-fachlichen Entscheidungen zu Verkehrsplanungen werden durch Männer getroffen, denn Bürgermeister und Gemeinderäte sind häufiger Männer. Auch die Partizipations- und Beteiligungsstrategien berücksichtigen die unterschiedlichen Blickwinkel nicht. In den Beteiligungsveranstaltungen zu Verkehrsthemen sitzen überwiegend Männer, jenseits der 60, ausgestattet mit einem gesegneten Sendungsbewusstsein und unerschütterlichem Bewusstsein dafür, was richtig und was falsch ist.

Dabei könnte das Verständnis der unterschiedlichen und anderen Perspektiven die Mobilität aller verbessern. All das zeigt sich in der aktuellen Situation, in der plötzlich mehr zu Fuß gegangen und deutlich mehr Rad gefahren wird, in der der öffentliche Raum und der Verkehrsraum eine ganz neue Bedeutung bekommen und in der die Defizite unserer öffentlichen Räume für alle, auch für die Männer, plötzlich sehr deutlich zu Tage treten. Mobilitätswende und das Leitbild der menschengerechten Stadt können deshalb nur erfolgreich sein, wenn andere als die jahrzehntelang vorherrschenden Sichtweisen berücksichtigt werden. Und damit sich wirklich etwas ändert, reicht es nicht, wenn sich Männer in die Bedürfnisse „anderer“ hineinversetzen. Es braucht den Blick und die Sichtbarkeit der Frauen, es braucht mehr Partizipationsprozesse, die Frauen und Kinder berücksichtigen, Befragungen, die gezielt nach den Bedürfnissen von Frauen fragen, es braucht mehr Verkehrsplanerinnen und Entscheiderinnen. Und es braucht auch die Bereitschaft von Frauen, sich einzumischen. Es braucht den anderen Blick – und schon allein, dass schreiben zu müssen, macht irgendwie auch traurig.

Das steinerne Dorf

Wenn wir über Klimawandel diskutieren, geht es schnell darum, was jeder/jede tun muss. Wir diskutieren über Plastiktüten, Plastikhalme, Flugscham, Weihnachtsbäume, über Verbote und Freiheit, die es offenbar ausschließlich auf deutschen Straßen auszuleben gilt. Nicht selten erbitterte und mit Rechthaberbesserwisserduktus geführte Diskussionen, die Vorbehalte schüren und wenig zielführend sind. Immerwährender Beweis, dass es keine besseren Besserwisser als uns Deutsche gibt.

Ich beschäftige mich seit langem mit Stadtgrün und Wasser in der Stadt. Beide Themen haben viel mit dem Klimawandel zu tun. Nur logisch, dass ich dazu letztes Jahr mehrere Vorträge gehalten und Artikel geschrieben habe, u.a. einen über Entsiegelung und Begrünung als Beitrag zur Klimaanpassung (Stadt+Grün 8/2019).

Siedlungen sind von den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen. Durch die starken Versiegelungsgrade sind Oberflächen- und Lufttemperaturen höher als im Umland. Das führt zu Temperaturen, die tagsüber längeren Aufenthalt im Freien nahezu unmöglich machen, und nachts wirkungsvolle Abkühlung verhindern, da Beton und Asphalt ihre tagsüber gespeicherte Wärme abgeben. Diese Effekte werden in den nächsten Jahren zunehmen. Denn ein großer Anteil der Freiräume ist heute versiegelt – Straßen, Wege, Plätze und Stellplätze. Auch die privaten Freiräume sind stark versiegelt. Hierin liegt einer der Hauptgründe für die Entstehung urbaner Hitzeinseln mit gefühlten Lufttemperaturen von deutlich über 40 Grad und Oberflächentemperaturen um die 70 Grad.

Zum Reigen möglicher Klimaanpassungsmaßnahmen gehören deshalb schon lange Entsiegelung und Begrünung. Beides einfach zu realisieren. Beides nutzt nicht nur dem Klima, sondern auch der Biodiversität oder einfach ausgedrückt, den Insekten und Vögeln. Schaut man sich allerdings um, entsteht der Eindruck, als nähme Versiegelung ungebremst zu. Die Zahl der PKW steigt, damit der Anteil versiegelter Stellplätze. Viele private Grundstücke werden komplett gepflastert oder erhalten großflächige Steinschüttungen. Auf Bepflanzung wird verzichtet, denn Blüten und Laub sind vor allem Dreck. Auch noch der letzte Weg wird asphaltiert, damit die Schuhe nicht verschmutzen. Fassadenbepflanzungen könnten die strahlend weißen Hauswände verschmutzen und machen Arbeit, genau wie Blumenbeete. Die wollen viele Hausbesitzer nicht mehr haben. Die vielgeschmähten Schottergärten sind deshalb deutlichstes Zeichen für unser beschränktes Verständnis zum Freiraum. Alles muss praktisch sein. Neulich habe ich einen Schottergarten entdeckt, der inmitten der Schotterfläche ein Vogelhäuschen beherbergte. Besser lässt sich der Irrsinn nicht ausdrücken. Dabei zeugt das Beispiel durchaus von Gestaltungswillen und möglicherweise einem kleinen Rest an Wissen, dass Gärten etwas mit Natur und die wiederum mit Insekten und Vögeln zu tun haben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wer meint, dass dies alles nur die Stadt betrifft, irrt. Dörfer sind ebenso stark versiegelt. Praktisch und komplett gepflasterte Hofeinfahrten, Schottergärten, konsequente Unkrautbekämpfung mit Roundup und wenn Rasen, dann möglichst kurz und auf gar keinen Fall mit Löwenzahn oder Gänseblümchen.

Dabei wäre es einfach. Es gibt gute Beispiele, gute Initiativen und einfache Möglichkeiten zum Tun. Wichtig wäre aber, dass – jenseits politischer Lippenbekenntnisse zum sogenannten Klimanotstand, der in den letzten Monaten mancherorts ausgerufen wurde, oder einem zum Fremdschämen perfekt geeigneten Statement der Umweltministerin Svenja Schulze, dass es „beim Klimaschutz nicht nur um Gletscher und Eisbären geht“ – endlich messbare Maßnahmen  ergriffen werden. Dafür braucht es politische und planerische Rahmenbedingungen, Anreize, Vorbilder, Gebote und Verbote (JA, auch Verbote). Dafür braucht es eine ernsthafte Auseinandersetzung darüber, was jeder/jede Einzelne tun kann oder eben nicht tut. Darüber müssen wir reden. Jetzt. Und dann tun.

Anmerkung: Die Fotos in diesem Beitrag entstanden in meiner Nachbarschaft und umliegenden Dörfern. Sie stehen beispielhaft für das, was schief läuft und das, was sich machen lässt. Ich habe übrigens letztes Jahr für meinen Vorgarten einen Preis beim Vorgartenwettbewerb erhalten, ausgelobt von den Verbänden Wohneigentum Baden-Württemberg e.V. und Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg. Weit über 1.000 Einsendungen gab es. Der Vorgartenwettbewerb ist eines der Beispiele, was sich machen lässt und hoffentlich findet er viele Nachahmer und Nachahmerinnen.

Vorgarten in Schotteroptik

praktisch gestaltete Hofeinfahrt

baumloser, komplett versiegelter Supermarktparkplatz

begrünte Garagenzufahrt

gekieste und begrünte Hofeinfahrt

entsiegelte und begrünte Straßeneinmündung

blühende Mauer

Pflanzfläche 1

Pflanzfläche 2

Schottergarten mit Vogelhäuschen

Vorgarten und Fassadenbepflanzung

begrünter Hof

Vorgarten

Vorgarten

Vorgarten

Mit dem Fahrrad unterwegs in Mannheim

2017 wurde Mannheim als fahrradfreundliche Kommune Baden-Württembergs ausgezeichnet. Vielleicht hätte ich das lesen sollen, bevor ich mit dem Fahrrad in Mannheim unterwegs war. Und vielleicht hätte ich dann auch vorher im Internet recherchieren sollen, wie man sich radelnd gut durch Mannheim bewegt.

Mannheim hätte gute Voraussetzungen zum Fahrradfahren, die Stadt ist topfeben. Doch Stadt ist vor allem autogeprägt. Auffällig die Hochstraßen. Das benachbarte Ludwigshafen stampfte in den 1960er Jahren das PROJEKT VISITENKARTE aus dem Boden. Aufgeständerte Autobahnen inmitten der Stadt waren für die damaligen Verkehrsplaner modern. Über den Rhein und die Hafenanlagen reichen die Hochstraßen bis nach Mannheim hinein. Unter ihnen, radelnd oder gehend, fühlt man sich klein und verletzlich. Heute sind die Hochstraßen vor allem marode. Den Verkehrsinfarkt haben sie nicht verhindert, dafür das Stadtbild nachhaltig verschandelt. Selbst Mannheims Schlossgarten wird von Hochstraßen zerschnitten. Dazwischen winden sich schmale Radwege, deren Beschilderung sich vermutlich vor allem Einheimischen erschließt.

Wir entdecken eine Fahrradstraße. Aufgeklärte Radelnde wissen, dass sie hier Vorrang haben und schnell vorankommen sollten. Wären da nicht die vielen Schlaglöcher, so dass man das Rad lieber schiebt.

Visitenkarte Hochstraße, Katrin Korth

Auch im Einbahnstraßengewirr der Quadrate braucht es Überwindung, Rad zu fahren. Parkplätze dominieren das Stadtbild, die Gehwege sind schmal, Fahrräder scheinen zu stören. Jederzeit droht eine Kollision mit einem tiefergelegten aufgepimpten Automobil einschließlich seines goldkettchenbehängten Fahrers. Wir erreichen den Paradeplatz, einen der wichtigsten Stadtplätze Mannheims. Zwischen Stadtbahnhaltestellen, Konsumtempeln, Dönerläden und Stadthaus, welches noch keine dreißig Jahre alt ist und dennoch merkwürdig aus der Zeit gefallen scheint, versucht sich in der Platzmitte die barocke Grupello-Pyramide zu behaupten, umrahmt von Rasenflächen und Blumenbeeten. Ein wildes Konglomerat.

Durch Viertel, die sich eher wie Basare im Süden Europas anfühlen, so bunt ist das Sprachengewirr, geht es weiter zum Jungbusch. Im einst stolzen gründerzeitlichen Hafen-, später Rotlicht- und heute Szeneviertel suchen wir die vor einigen Jahren mit viel Aufwand realisierte Promenade am Kanal. Tagsüber zeigen sich vor allem die Brüche und noch nicht eingelösten Versprechen für den Wandel des Quartiers. Neben einer Tankstelle der zentrale Platz am Wasser mit deutlichen Zeichen von Vandalismus: Müll, Scherben und ein durchdingender Geruch nach Urin. Direkt angrenzend die Popakademie und teure Lofts und Eigentumswohnungen. Eingestreut einige Cafés und Kneipen, deren Plakate mit der Bitte, das Viertel nicht zuzumüllen, von der schwierigen Gratwanderung zwischen Kreativen, Szene und Kommerz, zwischen Zugezogenen und den dort schon immer ansässigen Bewohnerinnen und Bewohnern zeugen. Das Rad schiebt man auch hier besser.

Quartiersplatz im Jungbusch, Katrin Korth

Relativ ungestört radeln lässt es sich auf dem Uferweg am Neckar, wenn auch von der Stadt nicht viel zu erleben ist. Wären da nicht die Schnellradler, die mit ihrem Klingeln deutlich anzeigen, dass nebeneinander herfahrende, miteinander plaudernde Radelnde einfach nur nerven.

Mannheim wirbt mit Besonderheiten: mit der zweitgrößten Schlossanlage Europas, mit einer der angesehensten bürgerschaftlichen Kunstsammlungen der deutschen und internationalen Moderne bis zur Gegenwart, mit seinem gründerzeitlichen Wasserturm, mit dem Luisenpark als schönste Parkanlage Europas. Das Schloss, ein eher trister Bau, der die Universität beherbergt. Die Kunsthalle mit ihrem nagelneuen Erweiterungsbau von gmp und ihrer Idee der „Stadt in der Stadt“, vo außen wirkt sie wie eine Lagerhalle, die auch im Hafengelände stehen könnte. Der Wasserturm mit seinem Brunnenprospekt, seltsam losgelöst von der umgebenden Stadt und umtost vom Autolärm. Lohnenswert der Luisenpark, eine gepflegte, bürgerliche Oase im Dickicht der Stadt, trotz acht Euro Eintritt. Ob der Park wirklich der schönste in Europa ist? Mir fallen da andere Parks ein. Dennoch, der Charme der Gartenschau von 1975 wirkt immer noch. Weite baumbestandene Rasenflächen, liebevolle Details, dazu immer wieder Zeichen spendenbereiter Mannheimer, wenn auch der Park insgesamt und vor allem seine Gebäude eine Verjüngungskur vertragen könnten. Die Planungen gibt es, 2023 wird es in Mannheim wieder eine Bundesgartenschau geben, die neues Grün schaffen und das bestehende Grün vernetzen und aufwerten soll.

Luisenpark Mannheim, Katrin Korth

Mannheim ist eine Stadt mit Brüchen, mit einer eigenwilligen Geschichte, mit einer Mixtur unterschiedlichster Bürgerinnen und Bürgern, die wie es scheint, nicht viel miteinander zu tun haben. Einige der sogenannten Vielfaltsquartiere in der Stadt sind, wie der Soziologe Konrad Hummel neulich in der ZEIT schrieb, offenbar „Endstation der politischen Nahrungskette“. Quartiere, die deutlich machen, dass Bildungs- und Stadtpolitik, Sicherheit und Demokratieförderung und Investitionen in den öffentlichen Raum, auch mit Radwegen, nicht sektoral sondern nur ressortübergreifend bewältigt werden können.[i]

Der Radfahranteil Mannheims liegt bei 18 %. Verglichen mit anderen fahrradfreundlichen Kommunen in Baden-Württemberg scheint das nicht besonders viel. Die Auszeichnung als fahrradfreundliche Kommune erhielt die Stadt denn auch nicht zuletzt, weil sie „bei der Kommunikation Maßstäbe gesetzt hat“[ii]. 2017 feierte sich Mannheim als Geburtsstadt des Fahrrades. Den Anstoß für die Erfindung des Laufrades gab übrigens eine gravierende Notlage. Der Ausbruch des Vulkans Tambora vor 200 Jahren brachte Hungersnöte und Pferdemangel. Laufräder sollten Pferdefuhrwerke ersetzen, die bis dahin wichtigsten Transportfahrzeuge. Aktuell scheint die Notlage der mit Autos zugestopften Städte noch nicht groß genug zu sein, doch der Blick in die Vergangenheit lässt hinsichtlich unserer heutigen Mobilitätsprobleme hoffen. Radelnd in Mannheim kann man den Schmelztiegel der heutigen Notlage intensiv erleben. Davon abgesehen, die Stadt lohnt einen Besuch, auch wenn sie es Radlerinnen und Radlern nicht ganz einfach macht.

[i] Konrad Hummel: Quartiere ohne Zukunft. In: Die Zeit, 19.07.2018

[ii] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Informationsportal zur Radverkehrsförderung, https://www.fahrradland-bw.de/news/news-detail/mannheim-fahrradfreundliche-kommune/vom/8/12/2017/

Am Brunnen vor dem Tore da steht kein Brunnen mehr– über Brunnen, Stadt und Heimat

Vor einigen Jahren musste ich einen Brunnen zuschütten: ein Wasserspiel aus den 1950er Jahren. Fontänen und Beleuchtung waren schon lange dem Vandalismus zum Opfer gefallen, das einstmals blaue, nun verblichene leere Brunnenbecken fristete über Jahre ein trauriges Dasein. Der Standort? Direkt vor dem Bahnhof einer kleinen Großstadt im Südwesten Deutschlands, die sich bemüht, mehr zu sein als sie ist. Was für ein Willkommensgruß. Die städtische Grünflächenabteilung, die ich seinerzeit geleitet habe, hätte den Brunnen gern saniert. Wir rechneten und prüften, machten Pläne und Vorschläge. Doch bürgermeisterliches Desinteresse (Zitat: „Schüttet das Sch…ding zu“), zögerliche Stadträte, die die Sanierungskosten nicht wahrhaben wollte („Ihr habt das doch teuer gerechnet, das geht billiger“), und der eisige Wind kahlschlagender großstädtischer Stadtentwicklungspläne fegten über den Brunnen hinweg. Danach fegte über meine Kollegen und mich ein Sturm öffentlicher Empörung, waren wir doch diejenigen, die im Rampenlicht standen und das Brunnenbecken zugeschüttet hatten. Örtliche Zeitung und Bildertanz, ein abgeklärt kluger und mitunter romantisch verklärender Bilderblog, kommentierten das Geschehen bissig. Über Wochen und bis heute entrüsteten sich Bürgerinnen und Bürger.

Was kaum jemand auf dem Schirm hatte: viele Menschen fühlten sich mit dem Brunnen verbunden. Sonntägliche Spaziergänge in Kindheit und Jugend, später der schnelle Blick aus dem Auto, Willkommens- und Abschiedsbild bei Reisen mit der Bahn – der Brunnen als seelisches Erinnerungsstück einer Stadt und Symbol für die Aufbruchsstimmung der 1950er Jahre, als alles besser und vieles schnell vergessen werden sollte. Der Brunnen – nach dem Zuschütten wurde es offensichtlich – war offenbar ein Stück Heimat.

Der Begriff Heimat wird aktuell inflationär verwendet, hat es sogar in den Titel eines Bundeministeriums geschafft. Doch was ist Heimat wirklich? Als Begriff gewann Heimat erst mit der Industrialisierung und der rasanten Urbanisierung im 19. Jahrhundert an Bedeutung. Und bis heute hat er immer dann Konjunktur, wenn sich die gesellschaftlichen Verhältnisse rasant verändern: durch Wachstum, Ein- und Auswanderungswellen, Globalisierung, Digitalisierung. Heimat wird dann zum kulturellen Sehnsuchtsort.

Doch über die kulturelle Deutung von Heimat als Gefühl hinaus wird der Begriff zunehmend auch politisch besetzt, als fühlbares Gegenstück zur modernen, schnellen und kalten Gesellschaft. Die Süddeutsche schrieb am 2. Januar 2018 dazu: „Heimat ist also größer als die Familie und kleiner als das Vaterland. Damit beschreibt sie eine Sphäre von „Gemeinschaft“ vor dem Abstraktum der modernen „Gesellschaft““ und weiter „“Heimat“ wird so zu einer eigentümlich vorpolitischen Sphäre, die mit allerlei Gefühls- und Erinnerungswerten aufgeladen wird.“ (Gustav Seibt: Was ist Heimat? Ein gutes Gefühl. In Süddeutsche Zeitung 02.01.2018)

Und hier findet sich der Anknüpfungspunkt zu den Brunnen: Brunnen finden sich irgendwo zwischen Familie und Vater(Mutter)land. Brunnen waren und sind Symbole städtischen Lebens, Ausdruck der Verfasstheit einer Stadt, auch Zeichensetzungen – der Mächtigen wie auch der Bürger. Als gebaute Objekte sind sie Zeitzeugen des Erinnerns an vergangene Zeit. Sie sind emotionale Ankerpunkte im Stadtgrundriss, Brunnenplätze sind Orte des städtischen Miteinanders – und zwar des tatsächlichen, nicht nur des verordneten oder herbeigeredeten Miteinanders.

Brunnen sind natürlich noch viel mehr: das Spiel des Wassers erfreut und erfrischt. Und gibt es etwas Schöneres, als am Brunnen zu sitzen und zu entspannen? Oder Kindern beim Toben im Wasser zuzusehen? Wasser spricht alle Sinne an und wie kaum ein anderes Stadtelement erzeugen Brunnen kleine glückliche Momente im hektischen Alltag.

Das ist der Grund, warum sich Menschen empören, wenn Brunnen nicht funktionieren oder stillgelegt werden. Das ist der Grund, warum sich Menschen einsetzen für Erhalt, Pflege und Sanierung vorhandener oder auch den Bau neuer Brunnen.

Beispiele gibt es reichlich: z.B. Die Europäische Brunnengesellschaft in Karlsruhe. Beharrlich holt sie vergessene Brunnen und ihre Geschichten ans Licht der Öffentlichkeit, saniert Brunnen und organisiert Ausstellungen. In Stuttgart gibt es die Stiftung Stuttgarter Brünnele. In einigen Städten gibt es Patenschaften. Magdeburg hat vor einigen Jahren ein Brunnensponsoring ins Leben gerufen. Abgesehen von einigen wenigen Hauptbrunnen laufen die Wasserspiele nur, wenn sich Sponsoren für den Betrieb finden. Dieses Jahr kamen 40.000 Euro zusammen. Auch ich sponsere dort für den Betrieb eines Brunnens, zusammen mit meiner Schwester und ihren Nachbarn finanzieren wir den historischen Brunnen im Möllenvogteigarten im Domviertel. Man kann das auch durchaus kritisch sehen. Brunnen sind schließlich eine städtische Aufgabe, so wie Rasen mähen, Mülleimer leeren, Spielplätze pflegen. Doch ich spende nicht, weil die Stadt diese Aufgabe nicht übernehmen könnte. Eine Stadt, die das Geld für ihre Brunnen nicht aufbringen kann, kann ohnehin alles andere auch vergessen. Ich spende, weil ich dankbar bin, weil es meine Geburtsstadt ist und ich mich so verbunden fühle. Ich spende, weil ich so etwas zurückgeben kann von dem, was mir die Stadt gegeben hat. Ganz in Anlehnung an Pippi Langstrumpf: Warte nicht darauf, dass die Menschen dich anlächeln. Zeige Ihnen, wie es geht! –Warte nicht drauf, dass die Stadt etwas für dich tut, sondern tue selbst etwas. Denn Brunnen sind offensichtlich ein Stück Heimat.

Vor kurzem habe ich ein interessantes Beispiel in Pirna entdeckt. Bei Bauarbeiten wurde 2016 ein Wasserspeicher aus dem 13. Jahrhundert freigelegt. Die Stadtverwaltung schuf Tatsachen ließ ihn verfüllen. Dabei gibt es eine Initiative (Pirnaer Brunnen), die über 10.000 Euro Spenden gesammelt hat, um den Schacht sichtbar und erlebbar zu machen. Es folgte eine nun schon 2 Jahre währende kommunalpolitische Diskussion, immer noch nicht abgeschlossen, die vor allem eines zeigt: das Thema ist emotional besetzt und sollte von den Städten und ihren Administrationen nicht auf die leichte Schulter genommen werden.

Eine Stadtplanung und Stadtpolitik, die ihre Brunnen vergisst, macht etwas falsch. Das sage ich nicht, weil Brunnen mein Spezialthema sind. Das sage ich, weil es eben nicht nur um das Bauen von immer neuen, wie auch immer gestalteten Wohnhäusern geht oder um Straßen, Schulen, Kindergärten, Gewerbegebiete, sondern auch um das Erzeugen von unverwechselbarer Stadtidentität, also um Heimat. Das geht nur über ein Stadtbild, welches Abwechslung bietet und individuell ist, über einen Stadtgrundriss, der im Maßstab angepasst ist und der Menschen verbindet und zusammenführt. Das geht nur über eine Stadt, die auf der emotionalen Ebene positiv anspricht.

Brunnen und ihre Plätze stehen für dieses Positive: in ihnen mischen sich Baukunst und emotionales Erleben, Politik und Gemeinschaft, Ästhetik, Tradition und soziales Miteinander – und das schafft Heimat. Manchmal wird das, wie beim Listplatzbrunnen in Reutlingen, erst klar, wenn etwas nicht mehr da ist. Denn was Heimat wirklich bedeutet, erfährt man vor allem im Verlust.

Nachtrag

Letztes Jahr wollte ich eine Initiative für die Reaktivierung des Listbrunnens gründen und habe Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht. Das hat ziemlich Wellen geschlagen: die Reaktionen auf FB reichten von Begeisterung und „JA, ICH BIN DABEI“ bis hin zu „WOFÜR EIGENTLICH BÜRGERENGAGEMENT,WENN DIE STADT DAS GELD AN ANDERER STELLE ZUM FENSTER RAUSWIRFT“ oder „DIE BEI DER STADT SOLLEN ERST EINMAL IHRE HAUSAUFGABEN MACHEN; DANN ENGAGIEREN WIR BÜRGER UNS VIELLEICHT AUCH“. Interessant auch die Reaktionen einiger Stadträte, die erhebliche Vorbehalte hatten nach dem Motto: Bürgerengagement ja, aber bitte in geregelten, kontrollierten Bahnen.

So wird das natürlich irgendwie nichts mit dem Brunnen, stetig sind nur die Klagelieder regelmäßig in den Posts. Es bleibt festzuhalten: Eine Stadt hat die Brunnen, die sie verdient.

 

Verweise

Bildertanz Reutlingen: rv-bildertanz.blogspot.com/

Süddeutsche Zeitung vom 02.01.2018 http://www.sueddeutsche.de/kultur/sz-serie-was-ist-heimat-ein-gutes-gefuehl-1.3802786)

Pirnaer Brunnen: https://www.facebook.com/PirnaerBrunnen/

Stiftung Stuttgarter Brunnen: www.stiftung-stuttgarter-bruennele.de/

Europäische Brunnengesellschaft Karlsruhe: www.brunnengesellschaft.de/

Brunnen und Wasserspiele – überflüssiger Schnickschnack

Immer wieder behaupten Stadtplaner und Stadtplanerinnen, dass Gestaltungen mit Wasser, vor allem Brunnen und Wasserspiele, lediglich additive Elemente der Stadtgestaltung seien – zu unwichtig, um sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen. Ich reagiere auf solche Statements meist befindlich, schließlich ist Wasser in der Stadt mein Spezialgebiet – und wer lässt sich schon gern sagen, dass das unwichtig ist. Denn genau das ist im Planerjargon mit ADDITIV gemeint: UNWICHTIG.

Aber vielleicht ist ja etwas dran an der Behauptung? Vielleicht ist gestaltetes Wasser für Städte tatsächlich unwichtig? Deshalb ein kleiner historischer Rückblick.

Ohne Wasser keine Stadt. Alles Leben der Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner, aber auch das Grün mit Bäumen und Parks, Gewerbe und Industrie wären ohne Wasser nicht möglich. Durch Städte fließen Flüsse und Bäche. Es gibt Brücken, damit Teil städtischen Wassers. In den historischen Städten kamen noch planvoll angelegte Stadtbäche dazu. Sie lieferten Wasser für Gewerbe und spülten Abfälle aus der Stadt heraus. Und dann waren da die öffentlichen Brunnen, notwendig für die Trinkwasserversorgung, mit ihren Standorten auf Plätzen und Wegekreuzungen.

Wasser war notwendig, barg aber auch Gefahren: Hochwasser, Schlamm, Matsch und Schmutz auf den unbefestigten Wegen. Auslöser für Seuchen und Epidemien waren dieser Dreck und verseuchtes Trinkwasser, dazu kam die permanente Angst vor Brunnenvergiftungen. Schließlich drohten in den eng bebauten Städten Stadtbrände, Wasserknappheit konnte da schnell zur Katastrophe werden. Wasser war sichtbar und allgegenwärtig, die Menschen lebten damit. Der Blick in die Geschichte zeigt auch: Wasser war nie nur funktionales Element, sondern immer gestalterisches und sozialräumliches. Die prächtig geschmückten Marktbrunnen waren Symbole der Macht und Zeichen des Stadtlebens. Brücken waren nicht einfach technische Bauwerke, sondern oft großartige Zeichen der Handwerks- und Ingenieurkunst. Ein weiterer Aspekt des Wassers zeigt sich im Bild der Stadt. Historische Stadtansichten stellen gern Flüsse und Stadt als besondere Kulisse dar. Unter anderem daher rührt die Faszination der Menschen für städtisches Wasser. Darum lieben sie die Brunnen und sitzen gern am Ufer von Flüssen und Seen. Gestaltetes Wasser spricht emotional an, erfreut, sorgt für Wohlbefinden, hatte aber eben immer auch eine Funktion für das Stadtleben.

Dennoch gab es mit dem Beginn der Industrialisierung eine lange Periode, in der das Wasser fast komplett abwesend war. Stadtbäche wurden zugeschüttet, Flussufer mit Straßen und Gewerbe bebaut. Die Flüsse verdreckten, nicht nur weil die Abwassermengen anstiegen, sondern vor allem, weil durch die Industrie hochbelastetes Abwasser in den Flüssen entsorgte. Dazu wurde jede noch so kleine unbefestigte Fläche in der Stadt versiegelt. Pfützen? Eine Katastrophe. Das Regenwasser wurde möglichst schnell in die Kanalisation und die Flüsse abgeleitet. Oft so schnell, dass die Hochwassergefahr rapide anstieg. In der Stadt sichtbar waren nur noch Schmuckbrunnen, tatsächlich manchmal wie additives, austauschbares Stadtmobiliar. Mit diesem technisierten Umgang entfernten sich die Menschen vom Wasser. Wasser und Abwasser als Ware, professionell behandelt von unsichtbar agierenden Ver- und Entsorgungsbetrieben. Das Verständnis für Wasser – für seine lebensbejaenden und bedrohlichen Seiten ging verloren. Vermutlich wäre das so weitergegangen. Doch die ökologische Bewegung der 1970er und 1980er Jahre führte zu einem Umdenken, in Verbindung mit den anhaltenden Hochwässern und der generellen Wiederentdeckung der Stadt. So kam es auch zur Wiederentdeckung des Wassers in der Stadt.

Viele renaturierte Flüsse und Bäche zeugen davon, auch Ufergestaltungen und Parks, bespielbare Bäche mit Liegewiesen. Dazu Wasserspielplätze und Brunnen – beliebt bei Kindern, aber nicht nur bei diesen. Dazu auch wieder das Bild der Stadt am Wasser. Die vielversprechenden Stadtansichten von Köln, Dresden, Tübingen oder Heidelberg sind mehr denn je vielversprechend, da Fluss und Stadt eine Verbindung eingehen, die Menschen emotional anspricht. Leider entsteht diese Verbindung oft nur im Bild, real ist das Flusserleben nicht selten mit Hindernissen verbunden. In Heidelberg zerschneidet eine Bundesstraße das Ufer. In Tübingen ist der Neckar an vielen Stellen nur mittelbar erlebbar, weil die Ufer nicht zugänglich sind. Wenn man nicht gerade Stocherkahn fahren will, gibt es zum Sitzen am Wasser nur die historische Stadtmauer, die Schwindelfreiheit erfordert und ziemlich unbequem ist. Anderswo sind die Städte bereits wieder an den Fluss herangerückt. Sitzstufen und Wege, ja ganze Parkanlagen am Wasser, wie in Frankfurt und in Koblenz, dort sogar mit Seilbahn, welche die Rheinufer verbindet.

Wasser in der Stadt umfasst heute viel mehr Aspekte: Klimawandel mit zunehmenden Starkregenereignissen oder langen Hitze- und Trockenperioden. Anhaltende Versiegelung durch Straßen und Bebauung. Grundwasserverhältnisse, die sich dadurch verschlechtern. Luftverschmutzung durch viel zu viele Autos. Mikroplastik in den Gewässern. Zeiten, in denen Kreisläufe längst keine Kreisläufe mehr sind. Alles Gründe, genauer auf das Thema Wasser in der Stadt zu schauen.

Wasser in der Stadt bedeutet deshalb: Freihalten von Flächen für Hochwasserschutz und gleichzeitig ihre Gestaltung als Parks und Grünanlagen, Versickern und Rückhalten von Regenwasser, Sichern und Ausbauen von Kaltluftschneisen, die oft entlang der Flüsse und Bäche fließen. Sauberhalten der Gewässer, gesundheitliche Vorsorge treffen in den heißen Städten, Abkühlen von Plätzen und versiegelten Flächen, Anreize für Bewegung, Spiel und Sport, erholsame Oasen mit Grün und Wasser, Zugänge zum Wasser schaffen, Sichern lokaler Grundwasservorkommen, Bewässern des Stadtgrüns im Sommer, Umgang mit Starkregen.

Die meisten der benannten Themen laufen in den Städten, wenn überhaupt, nebeneinander: verschiedene Ämter – verschiedene Zuständigkeiten – verschiedene Interessen innerhalb der Stadt. Dabei ist das Thema so umfassend, dass es nur gemeinsam angegangen werden kann. Der Fachbegriff dafür: Wassersensitive Stadtentwicklung.

Wassersensitive Stadtentwicklung betrachtet die Stadt aus dem Blickwinkel des Wassers, nicht nebeneinander sondern miteinander, vernetzt, auch durch das Nutzen gleicher Flächen für unterschiedliche Belange. Das ist am Ende sogar eine Kostenfrage und es spart Platz – in Städten, die keinen Platz mehr haben. Wassersensitive Stadtentwicklung verbindet auch die funktionalen mit den gestalterischen Themen, macht Wasser für die Menschen wieder erfahrbar, nutzbar und schafft lebenswerte Stadt. Dazu gehören auch Brunnen und Wasserspiele – mit ihren Wohlfahrtswirkungen, ihren sozialen Möglichkeiten für das Zusammentreffen der Menschen in der Stadt, ihren stadtklimatischen Vorteilen, ihrer starken Symbolik. Vor allem sie machen Stadt lebenswert.

Darüber habe ich neulich bei der Tagung „Wasser in der Stadt – zwischen Flut und Erlebnis“ beim Netzwerk Innenstadt Nordrhein Westfalen vorgetragen: Faszination Wasser, wiederentdeckt und vielfältig genutzt. Mehr als interessant, denn viele Städte in NRW haben das Thema WASSER für sich bereits wiederentdeckt. Mehr dazu findet Ihr unter: http://www.innenstadt-nrw.de/aktuell/.

Der Traum von lebenswerter Stadt … und warum unsere Städte doch meist immer gleich aussehen

Regelmäßig werde ich zu Vorträgen und Diskussionen über Stadtgestaltung eingeladen, gern mit dem Schwerpunkt auf Planung für Kinder und Jugendliche. Ich erzähle über Strategien und Konzepte und zeige launige Bilder von realisierten kinder- und jugendfreundlichen Stadträumen. (so hat es beispielsweise in Reutlingen davon mittlerweile einige und es freut mich jedes Mal, wenn ich sehe, wie intensiv die genutzt werden.) Ich spreche über die Gründe für erfolgreiche Projektentwicklung und lebenswerte Stadtgestaltung. Und ich mache das gern, die Diskussionen sind meistens interessant. Schließlich wünschen sich – nahezu alle Menschen – Planende udn Entscheider in freien Büros in den Stadtverwaltungen, Gemeinderäte, Bürgerinnen und Bürger – qualitätsvolle Stadtgestaltung.

Meist ist das Erstaunen groß, was alles in einer Stadt möglich ist, wenn man die Bedürfnisse der Menschen konsequent berücksichtigt, anstatt nur davon zu reden. Denn tatsächlich wird in Planungsprozessen immer noch zu wenig über die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer diskutiert, trotz aller Partizipation, obwohl das kaum jemand zugeben wird. Stattdessen reden über Funktionen, Sichtachsen, über übergreifende Gestaltungsziele und gestalterische Details, auf die es meist überhaupt nicht ankommt. All das wird aber verpackt in intellektuell hochtrabende Worthülsen, zum Beispiel von der Stadt der kurzen Wege, obwohl es keine Kneipe im Quartier gibt, die nächste Einkaufmöglichkeit der Supermarkt am Stadtrand ist, der öffentliche Freiraum nicht zum Aufenthalt einlädt, sich die Kinder auf dem Weg zum Spielplatz zwischen einer Armada parkender Autos durchschlängeln müssen, es zwar Gehwege gibt, diese aber nicht zum Gehen einladen.

Die Stadt der kurzen Wege scheint immer noch zu bedeuten, dass der Weg zwischen Wohnung und parkendem Auto möglichst kurz ist. Und überhaupt … wird diese Worthülse vor allem dort benutzt, wo die Stadt alles andere als menschenfreundlich ist.

Worüber reden wir in der Planung? Keine Frage, gute Gestaltung ist wichtig. Und doch verlieren wir uns häufig im Kleinklein der Gestaltung, dass wir dann mit den beschriebenen Worthülsen umschreiben, damit das Kleinklein nicht so auffällt. Wir diskutieren über die richtigen Steinformate, die Farbe von Steinen, das Aussehen von Bänken (als wäre nicht auch wichtig, wie sich auf ihnen sitzen lässt), über die die Art und Qualität von Bäumen, über die finale Barrierefreiheit, und, und, und.

Und dann reden wir offenbar leidenschaftlich gern über  nicht beachtete oder vermeintlich nicht beachtete Sicherheit, über Risse im Beton, über riskante Absturzhöhen von Kinderspielgeräten oder fehlende Wasserqualität von Brunnen, die am besten Trinkwasserqualität haben sollten, damit der letzte Sicherheitsfanatiker befriedigt ist, auch wenn das kompletter Unsinn ist. Nicht selten passiert all das nach dem Motto: wer am lautesten schreit hat Recht, befeuert auch von der örtlichen Presse, immer auf der Suche nach dem ultimativen Fehler der Planenden oder der Verwaltungen. Bei diesen Diskussionen zeigt sich ein weiteres Phänomen: das Phänomen des Schlechtredens und der Suche nach dem Haar in der Suppe.

Deutschland: Land der Nörgler und Meckerer. Deutschland: Land der immerwährenden Suche nach den Schuldigen. Deutschland: Land der Besserwisser. Deutschland: Land der ewig Unzufriedenen. (Anmerkung. Deutschland lässt sich hier durch beliebige Ortsnamen austauschen)

Und wenn mal etwas gelingt im Stadtraum … selbst dann finden sich die Meckerer und Nörgler: zu voll, zu steinern, zu wenig integriert, zu wenig Schatten, zu wenig Bäume oder zu viel Bäume, zu schnell kaputt oder abgenutzt, zu dreckig, die übersteigerte Sorge, dass das Wasser im Wasserspiel zu dreckig sei und die gefährliche Straße zu nah dran … oder … das Ganze einfach nicht schön. Denn in unserer neoliberalen Welt mit seinem Fokus auf absoluter individueller Selbstverwirklichung muss Stadtgestaltung immer auch JEDEM gefallen. So wird erbittert über Gestaltung, Wasserqualität oder schlecht wachsende Bäume diskutiert, über Kleinkinder auf Skateplätzen, über die Notwendigkeit von Zäunen, damit Bälle nicht auf die Straße rollen und was immer da noch in den Sinn kommen mag.

Viel zu wenig diskutieren wir über die tatsächlichen Bedürfnisse von Menschen, von Kindern und Jugendlichen. Über das, was wir als Erwachsene dafür tun können, damit Kinder und Jugendliche frei und bewegt aufwachsen können. Über das, was wir tun können, damit wir uns selbst wohlfühlen. Über das, was wir tun können, um Stadträume mit Anreizen für den Aufenthalt zu schaffen. Über das, was wir tun können, um gesichtslose, immer gleiche Stadträume zu vermeiden, frei von jeglichen Möglichkeiten für Aneignung. Diese gesichtslosen Stadträume entstehen übrigens auch deshalb, weil ängstliche Entscheider und Entscheiderinnen jegliche Fehler vermeiden und es allen Recht machen wollen (dabei ist doch bekannt, dass diese Kunst noch niemandem wirklich gelang) oder weil sie auch noch dem letzten in der Stadt ihren mittelmäßigen, von aller Kreativität freien und langweiligen persönlichen Gestaltungsgeschmack aufoktroyieren wollen.

Also: Erinnern wir uns häufiger an unsere eigene Kindheit und seien wir nicht so brav und langweilig. Erinnern wir uns daran, wie wir uns im Urlaub im Süden wohlfühlen, wo es nicht so geleckt ist wie bei uns. Seien wir großzügig, diskutieren über das Mögliche und versuchen das Unmögliche. Und freuen wir uns, dass wir das alles dürfen.

Stadtentwicklung zwischen Kommerz und Selbstbestimmung

…oder wieviel Raum für selbstbestimmtes Leben braucht eine Stadt?

Einladung bei der Wunschraumproduktion in der Dresdner Friedrichstadt. Drei Tage lang setzten sich Bewohnerinnen und Bewohner -Zugezogene und schon länger dort Lebende, Kinder des Stadtteils mit ihren Eltern, Vereine und Initiativen – über ihr Recht auf den Stadtteil und ihre Lebensansprüche auseinander. Auf einer baumbestandenen Brachgrundstück inmitten der Friedrichstadt bauten sie ihren Wunschraum, diskutierten über alternative Lebenskonzepte und einen gemeinschaftlichen Freiraum im Quartier, kochten und feierten zusammen.

Es war anregend, ermutigend und ernüchternd. Die Brache wird noch dieses Jahr bebaut. Damit verschwindet ein bedeutender Freiraum im Quartier. Damit verschwindet die Möglichkeit für eine Quartiersmitte in einem immer dichter werdenden Stadtviertel. Das wirft Fragen auf. Über den Umgang mit der Stadt, in Dresden, aber nicht nur in Dresden.

Aus dem Außenblick kennt man Dresden durch Kunst und Kultur, die touristisch herausgeputzte Altstadt und vielleicht durch Dresden-Neustadt mit seiner Kneipen- und Szenekultur. Dabei hat Dresden auch eine höchst lebendige alternative Kunst- und Kulturszene. Bislang gab es immer den Raum dafür, sei es auf Brachen oder in leerstehenden Gebäuden. Doch Dresden wächst und damit wächst der Druck auf genau diese Flächen.

Die Dresdner Stadtentwicklungspolitik (unabhängig von der aktuellen Zusammensetzung des Stadtrates) setzt auf Investoren. Städtisches Eigentum wurde in den letzten Jahren massiv veräußert – trauriger Höhepunkt war 2006 der Verkauf des kommunalen Wohnungsbestandes an eine amerikanische Investmentgruppe, was sich im Nachhinein als Riesenmogelpackung und Wertevernichtung herausstellte. Städtische Bodenbevorratung gibt es kaum. Bevorzugt werden vorrangig Investoren mit Interesse an großen Projekten. Zwar gibt es das Ziel, Baugruppen, Genossenschaften und alternative Projekte zu fördern, doch der Rahmen dafür ist überschaubar. In den letzten Jahren hat sich die Stadt sehr verändert, manchmal ist das gut, aber oft auch nicht.

Beispiel Friedrichstadt

Ein Stadtteil mit Potenzial, ein Stadtteil im Wandel, direkt angrenzend an die Altstadt. Ein wilder Mix aus Industrie, barocker und gründerzeitlicher Bebauung, Plattenbauten aus längst vergangenen DDR-Zeiten, Gleisanlagen der Deutschen Bahn in Wartestellung und großen Verkehrsschneisen. Inmitten des Stadtteils thront das Friedrichstädter Klinikum mit seinen barocken Gebäuden, wundervollen Zierbrunnen und seinem Park. Dazwischen Brachflächen. Lange Zeit sah es hier nicht nach Veränderung aus. Um das Gebiet zu „stabilisieren, private Investitionen zu initiieren und eine Profilierung zum Innenstadtergänzungsgebiet mit Stärkung der Wohnfunktion“ zu erreichen, wies die Stadt 2003 ein Sanierungsgebiet aus. Mittlerweile kommen die Investoren und die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner hat sich auf 10.000 verdoppelt.

Fast noch schlimmer als die neuen gesichtslosen Wohnkomplexe ist der neu entstandene, lieblose Stadtraum mit aneinandergereihten Tiefgaragenzufahrten und toten Erdgeschosszonen. Mit jeder bebauten Brache verschwindet wildes, ungeordnetes Grün, aber auch Kreativität der Bewohnerschaft, die sich die Brachen in den vergangenen Jahren teilweise angeeignet hatten. Neue Freiräume wurden von der Stadt vor allem am Rand des Quartiers weitab von den vorhandenen sozialen Zentren des Quartiers geplant, dazwischen für Kinder unüberbrückbare Straßenschneisen. Diese neuen Freiräume sind Orte der Ödnis fernab von lebenswerten Aneignungsmöglichkeiten.

Den Bewohnerinnen und Bewohner wird Stück um Stück ihr Stadtteil genommen, die Zugezogenen finden ein Quartier vor, das historisch gewachsen scheint, aber keine Mitte hat. Die Unzufriedenheit wächst, wobei sie sich nicht prinzipiell gegen neue Bebauung richtet. Es geht um die Art der Bebauung und um den Verlust zentraler Freiräume. Es geht um den Wunsch nach Individualität und Räumen, die nicht fertig gestaltet sind und Möglichkeiten für eigene Ideen lassen. Es geht um Platz für alternative Konzepte jenseits des klassischen urbanen Mainstream. Es geht um die Art der Beteiligung, denn natürlich fanden und finden im Rahmen des Sanierungsgebietes von der Stadt organisierte Beteiligungen statt. Doch in dem mittlerweile 15 Jahre alten Rahmenplan finden sich viele Menschen nicht mehr wieder.

Die Wunschraumproduktion machte auf dieses Defizit aufmerksam und suchte nach Lösungsansätzen.

Beispiel Elixir

Die öffentliche Außenwahrnehmung Dresden, vor allem im Westen und Süden Deutschlands, könnte derzeit nicht negativer sein – Pegida und der Umgang mit Flüchtlingen haben deutliche Spuren hinterlassen. So etwas mag keine Stadt und so gibt es reichlich vollmundige Bekenntnisse zu Weltoffenheit und Integration. Natürlich gibt es einige Vorzeigeprojekte wie die Zukunftsstadt oder die Bewerbung um die Kulturhauptstadt Europas. Doch wie ernst sind die politischen Bekenntnisse tatsächlich gemeint?

Der Verein Elixier wollte in der ehemaligen Arbeitsanstalt in der Neustadt ein Zentrum für gemeinsames Leben, Lernen und Kulturschaffen errichten, in dem Dresdnerinnen und Dresdner sowie Geflüchtete ein Heim finden sollten. Ein wegweisendes Projekt für nachbarschaftliches Zusammenleben, gelebte Integration und sozial und finanziell nachhaltigen Wohnungsbau. Ein mutiges Projekt mit hohem ehrenamtlichen Einsatz, der normalerweise von der Politik gewünscht und angepriesen wird. Allerdings hatte die Stadt das Grundstück bereits auf dem freien Markt angeboten, das Vergabeverfahren hätte geändert werden müssen. Ohne den Sumpf der zähen Verhandlungen noch einmal aufzukochen: das Projekt scheiterte an zwei Stimmen im Stadtrat und die SPD spielte in diesem Sumpf eine mehr als unglücksselige Rolle Das Engagement wurde dem schnellen Gewinn zum Fraß vorgeworfen – so die Lesart der Initiative und Befürworter des Projektes.

Beide Projekte, Elixir und Wunschraumproduktion offenbaren ein grundlegendes Verständigungsproblem in der Stadtgesellschaft. Innerhalb institutionalisierter Stadtentwicklungspolitik findet sich wenig Raum für Entwicklungspotenziale der Bewohnerschafft, freie Stadtaneignung und Initiativen jenseits des Mainstream.

Stadtentwicklungsprozesse für städtebauliche Erneuerungsmaßnahmen bergen zudem großes Konfliktpotenzial: Am Anfang ist ihr Abstraktionsgrad so hoch, dass die Pläne nur von Fachleuten verstanden werden kann. Bewohner und Initiativen fühlen sich erst angesprochen, wenn konkrete Umbaumaßnahmen einsetzen. Zeiträume von 10 und mehr Jahren – so wie in der Friedrichstadt – oder langfristig vorbereitete Vergabeprozesse wie beim Beispiel Elixir und der ehemaligen Arbeitsanstalt, die vorher Jahre leer stand, sind für Bürgerschaft, Initiativen und Vereine kaum verstehbar. Die Zeiträume passen nicht zur Eigendynamik des sozialen Miteinanders im Quartier, das viel kürzer ausgerichtet ist. Vereine und Initiativen erfahren in der Regel spät, wenn Veräußerungsabsichten bestehen. In regulären Ausschreibungsverfahren können sie nicht mitbieten, denn für die Klärung von Finanzierungsfragen brauchen sie Zeit.

Und so stehen die zunehmende Flexibilität der Nutzungsbedürfnisse der Bürgerschaft und die Trägheit institutionalisierter Stadtentwicklungspolitik nahezu unversöhnlich gegenüber.

Wenn man Vielfalt beschwört, muss man sie leben. Städte brauchen deshalb auch alternative Stadtentwicklungskonzepte. Deren Mehrwert ist hoch, auch wenn er sich oft nicht auf den ersten Blick zeigt. Stadt steht immer noch für Aufbruch und Modernität, aus dem auch neue Wirtschaftskraft entstehen kann. Und wirtschaftlich ist mit alternativen Konzepten schon lang kein Nachteil mehr verbunden. Örtliche Banken, Architekten, Bauunternehmen und Handwerker partizipieren viel stärker durch alternative Modelle als bei Investoren, die die Preise drücken.

Damit ist die Aufgabe für die Städte und die Initiativen abgesteckt.

Selbstbestimmte Entwicklungen beim Wohnen, bei Kultur, bei den urbanen Freiräumen wollen erkämpft werden. Initiativen brauchen die Vernetzung untereinander. Gemeinsam ist man stark. Dazu Partner suchen, in der Politik, in der Verwaltung. Und eine gewisse Professionalisierungen ist auch notwendig.

Städte und ihre Administrationen wiederum müssen Unterstützung bieten, damit sich Bürger und Vereine im Dschungel der Zuständigkeiten der Verwaltungen und der professionell verworrenen Ausschreibungs- und Vergabebedingungen zurechtzufinden. Es braucht ein Klima, in der Initiativen willkommen sind und Lotsen, die helfen, informieren, vernetzen. Es braucht städtische Grundstücksbevorratung. Es braucht eine konsequente Beteiligungspolitik, die nicht nur den Schein vermittelt, dass Mitsprache und Engagement erwünscht sind, sondern tatsächlich Raum lässt.

Was passiert, wenn eine Stadt das alles nicht macht? Nur scheinbar nicht viel. Sie wird langweilig, Stück für Stück. Das Mittelmaß ruft. Manchen reicht das. Denen das nicht reicht, sei ein Blick nach Leipzig und Tübingen empfohlen. Dort finden sich nachahmenswerte Beispiele.

siehe auch:

https://wunschraumproduktion.tumblr.com/

https://www.elixir-dresden.de/

rm16.blogsport.de/

Das obskure Vergnügen des Friedhofsbesuchs

Wir besuchen Friedhöfe als materialisierte Orte für Trauer und Erinnerung – für das Zwiegespräch mit unseren lieben oder weniger lieben Verstorbenen, zum Ausleben der Trauer. Dabei sind viele Friedhöfe ästhetisch eine Zumutung – unzählige, immer gleiche pompöse und doch langweilige Einheitsgrabsteine, streng rechtwinklig verlaufende Wege, die der Wirtschaftlichkeit des Friedhofsbetriebs gehorchen, kaum Bäume und schließlich Grabbepflanzungen der allerschlimmsten Sorte. Doch manchmal sind Friedhöfe auch wundervolle Parkanlagen und dann möglicherweise die letzten kontemplativen Orte der Besinnung und Pause. Diesem Ideal entsprechen vor allem historische Friedhöfe. Als Gartenkunstwerke zeichnen sie sich nicht selten durch wertvollen Baumbestand aus, haben kunstvolle Grabsteine oder Gebäude und Einfriedungsmauern. Als Parkanlagen sind sie bedeutsamer Lebensraum für vielerlei Tiere. Friedhöfe sind Treffpunkte und Begegnungsorte, von und zwischen den Zurückgebliebenen, ein Stück Sozialraum also. Manche Friedhöfe, insbesondere die mit Ruhestätten berühmter Menschen, sind Pilgerstätten, man denke an den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin oder den Friedhof Montparnasse in Paris. Doch einzigartige und manchmal kuriose oder traurige Geschichten können eigentlich alle Friedhöfe erzählen. Und so erklärt sich vielleicht das seltsame Vergnügungen, Friedhöfe zu besuchen und ihre Geschichten zu entdecken.

Zu den schönsten Friedhöfen in Baden-Württemberg darf der Waldfriedhof der Illenau in Achern gezählt werden. Die Illenau, 1842 gegründet, war im 19. und frühen 20. Jahrhundert eine der fortschrittlichsten Heil- und Pflegeanstalten für geisteskranke Menschen, berühmt über die Grenzen des Großherzogtums Baden hinaus. Rund 400 Patienten und genauso viele Ärzte, Pfleger und Angestellte lebten auf dem Areal der Illenau mit seinen weitläufigen Gebäudekomplexen, Werkstätten, Äckern, Wiesen sowie Nutz- und Ziergärten. Der Gebäudekomplex ist ein Meisterstück spätklassizistischer Baukunst – nicht Schloss und nicht Kaserne, konzipiert vom visionären und eigenwilligen Klinikgründer Christian Friedrich Wilhelm Roller, der in der Illenau seine Erfahrungen und Forschungsergebnisse zu zeitgemäßer, menschlicher Behandlung von Geisteskranken umsetzte. Zum Konzept der Klinik gehörte Beschäftigung, denn „wenn der Geist nicht beschäftigt wird, beginnt er zu wandern“. Gearbeitet wurde in den Werkstätten und Gärten oder auf den Äckern – die Klinik war Selbstversorger.

Viele der Patienten verbrachten hier lange Zeit, deshalb brauchte es einen eigenen Friedhof – als streitbarer und sehr wahrscheinlich sturköpfiger Generalist hatte Roller auch für den Friedhof seine höchst eigenen Vorstellungen, die er jedoch immer zum Wohle der Patienten einsetzte. Der Friedhof wurde konfessionsübergreifend, katholisch neben evangelisch, tot ist tot. Und er war letzte Ruhestätte für die gesamte Illenaufamilie – denn als solche verstanden sich Patienten, Ärzte, Pfleger und Pflegerinnen, Geistliche, Verwalter, Handwerker und Ökonomen, die denn auch einträchtig auf dem Friedhof nebeneinander ruhen.

Roller nahm auf die Gestaltung des Friedhofs großen Einfluss. Der Waldfriedhof wurde nicht streng geradlinig mit rechtwinkligen Wegen angelegt, sondern als romantische Gartenanlage im Stile eines englischen Landschaftsgartens. 1859 wurde er eröffnet mit geschwungenen und terrassierten Wegen – welche eine sorgsame Planung an jeder Stelle erahnen lassen – eine Anmutung natürlicher Waldlandschaft mit vielen exotischen Bäumen, die Roller eigens in den Schlossgärten von Karlsruhe und Schwetzingen beschaffte. Viele der Patienten entstammten begüterten und berühmten Familien, sie hinterließen ihr Vermögen Stiftungen, die sich um den Fortbestand der Illenau kümmerten. Aus diesen Mitteln wurden nachfolgende Friedhofserweiterungen realisiert, aus Stiftungsmitteln wurde und wird der Friedhof unterhalten.

Die Gräber sind schlicht gehalten und waren eine der wenigen Angelegenheiten, wo sich Roller nicht durchsetzen konnte – er wollte Holzkreuze, doch die Patienten setzten Kreuze aus Metall und steinerne Grabmale durch. Es finden sich neugotische Grabsteine aus der Zeit des Historismus, grazile Jugendstilplastiken, grobe Steinblöcke und einige figürliche Gestaltungen – dennoch insgesamt sehr schlicht. Diese Schlichtheit macht heute den besonderen Reiz des Friedhofs aus.

Die Geschichte der Illenau ist auf das Engste verknüpft mit dem Badischen Großherzogtum, der älteste Sohn von Großherzog Leopold, Ludwig II. – ein lebenslustiger Bursche, bis er an einer unheilbar am Geist erkrankte – war bis zu seinem frühen Tod Patient der Illenau. Doch auch darüber hinaus gab es innige Verflechtungen: Großherzogin Luise (eine Tochter des preußischen Königs und späteren Kaisers Wilhelm I.) und selbst die Kaiserin Augusta pflegten langjährigen Kontakt zu den Klinikdirektoren und Ärzten und förderten deren Entwicklung. Die Illenau übte große Anziehung auf Ärzte aus, die hier lebten und forschten und mit ihrer Arbeit zur Entwicklung eines modernen Psychatriewesens beitrugen.

Fast 2.500 Menschen fanden auf dem Friedhof ihre Ruhe. Die Gräber erzählen Geschichten. Beispielsweise von der kleinen Eugenie, die mit ihrem Stuhl kippelte, umkippte und sich den Schädel brach. Ihr Vater, Patient der Illenau, wünschte sich den Waldfriedhof als Ruhestätte. Ein wundervolles, figürliches Kunstwerk erinnert an die tragische Geschichte.

Klinik und Friedhof erlebten schwere Zeiten. In der Zeit des Ersten Weltkrieges stieg der Krankenstand auf über 700 Patienten. Kriegszitterer, Traumatisierte aus Schlachten und tödlichem Artilleriedonner, fanden hier einen Platz, sicher zwar, doch vom Hunger bedroht. Die Zuteilungen an psychiatrische Einrichtungen wurden knapp bemessen – die Todeszahlen dieser Zeit sind ein beredtes Zeugnis für den unbarmherzigen Umgang mit unnützen Essern. 1940 wurde die Klinik aufgelöst. Der Klinikdirektor kämpfte gegen die drohende Euthanasierung an, dennoch wurden viele der Patienten in Grafeneck ermordet. Anschließend wurde die Illenau eine nationalpolitische Erziehungsanstalt für Südtiroler Mädchen, die großdeutsch werden sollten. Nach Kriegsende wurden ehemalige Zwangsarbeiter untergebracht. Es folgte die Zeit der Französischen Besatzungstruppen, in der die Illenau für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Der Friedhof, im Unterschied zu den Gebäuden immer zugänglich, wurde 1971 Gartendenkmal. Seine schwerste Zerstörung erlebte er jedoch nicht durch den Mensch sondern durch eine Naturkatastrophe. 1999 verwüstete der Orkan Lothar den Friedhof. Vor allem der exotische Baumbestand wurde dabei unwiderbringlich zerstört. Nur langsam erholte sich der Park hiervon wieder.

1999 kaufte die Stadt Achern das Gelände der Illenau, sanierte und restaurierte behutsam und feinfühlig Gebäude und Außenanlagen. Das Rathaus fand hier einen neuen Platz, Landratsamt, Behörden und Firmen zogen ein, dazu kamen Wohnungen und Werkstätten. Entstanden ist ein wundervoller Ort, den man im beschaulichen und ansonsten absolut durchschnittlichen Achern nicht erwarten würde. Für einen Besuch des Friedhofs empfiehlt sich eine der kenntnisreichen Führungen, die von der Achern Tourist Information angeboten werden. Im Anschluss lohnt sich der kurze Spaziergang zur Illenau hinunter, hinein in das Museum, welches einen aufschlussreichen Blick in vergangenen Zeiten ohne Krankenversicherungen ermöglicht. Zum Abschluss lässt sich bei Kaffee und leckerem Kuchen (auch vegan) im integrativ betriebenen Arkadencafè in den schön restaurierten Räumlichkeiten der Illenau vielleicht darüber sinnieren, wie wir heute mit Krankheit und Tod umgehen und wo wir begraben sein wollen. Der Waldfriedhof der Illenau wäre nicht der schlechteste Platz. Leider wird er nicht mehr genutzt.

Park-Häuser für Menschen oder der vertikale Park

Wer gelungene urbane Freiräume und Parks erleben will, der/die muss in die Schweiz fahren. Auch wenn ich mir dazu immer wieder anhören muss: „ja, aber die haben halt Geld“. Das stimmt, doch bahnbrechende Konzepte haben nicht nur etwas mit Geld zu tun, sondern vor allem mit vorurteilsfreien Ideen und Mut.

Ein Park, dessen Gestaltung sicher einiges an Mut erfordert hat (selbst in der Schweiz), ist der MFO-Park in Zürich. Seine Gestaltung ist auch ein Beitrag zur Debatte „urbane Wand und Dachbegrünung/Stadt im Zeichen des Klimawandels“, die hier in einer sehr speziellen und überraschenden Form auf einen Park übertragen wurde.

Kurz beschrieben ist der MFO-Park ein grüner Parcour auf dem Grundriss einer alten Industriehalle, der sich über eine Gerüstkonstruktion vertikal in die Höhe erhebt. Ein „Park-Haus“ sozusagen, nur für Menschen und Tiere. Fast vollständig berankt von Wildem Wein, Glyzinien, Knöterisch und Pfeifenwinden.

Mit einer Fläche von 105 x 55 m ist der Park eigentlich nur ein kleiner Taschenpark, doch dafür ist er so hoch wie die Nachbarbebauung, 4 bis 5 Geschosse. Park hoch drei. Eine doppelwandige Stahlkonstruktion trägt die Rankhilfen und beherbergt Treppenläufe, Wandelgänge in verschiedenen Höhen und Loggien.

Tritt man hinein in das Innere, wird man empfangen von einer fast märchenhaften Stimmung, aller Krach und alle Geschäftigkeit bleibt zurück, Vögel zwitschern, Sonnenstrahlen schieben sich durch die Blätterhülle, die bunten (und betretbaren) Glasscherben auf dem Boden blinken und blitzen. Der kleine Brunnen verzaubert, als käme gleich der Froschkönig aus dem Wasser (und auch wenn natürlich alle wissen, dass das Märchen vom Froschkönig ein gigantischer Schwindel ist … vielleicht, wenn man nur lang genug wartet). Die Treppen sind steil und nichts für Schwindelanfällige, aber es zieht einen unweigerlich nach oben. Der Aufstieg wird belohnt durch ein spektakuläres Sonnendeck mit Ausblick über die Dächer Zürichs.

Der MFO-Park wurde nach der Maschinenfabrik Oelikon benannt. Er steht exmplarisch für die Entwicklung von Zürich Nord, den Wandel eines ehemaligen reinen Industrieviertels und Stadtentwicklung, die konsequent den Freiraum mitdenkt. Der Entwurf von Burckhardt + Partner und Raderschall Landschaftsarchitekten AG ging aus einem Wettbewerb hervor und wurde 2002 realisiert. Es ist ein kontemplativer Park, für die Mittagspause, die stille Stunde, das Liebespaar, das Lesevergnügen auf dem Dach, vielleicht für Yoga oder Taijiquan, vielleicht für kleines Theater oder Stummfilmklassiker. Doch das braucht es auch in unserer lauten, schnellen Welt. Keine Ahnung, was das Ganze gekostet hat. Doch eine geniale Idee und gelungene Umsetzung, die Nachahmung sucht in Zeiten des Klimawandels und städtischer Luftverschmutzung.

essbare Stadt – alles Quatsch?

Im gemeinschaftlich genutzten Innenhof meiner Stadtwohnung stehen acht Bäume. Im Frühjahr blühten sie wundervoll weiß und wurden von Wildbienen belagert. Im Mai naschten Kinder die kleinen, blauen Früchte von den Bäumen. Felsenbirnen. Der Anblick erinnerte mich an meine Kindheit und mitunter verbotene Naschorgien von Wildhecken oder dem Kirschbaum beim Nachbarn. Offen zugängliches Obst und Wildobst findet man heute fast nur noch im ländlichen Kontext. Eine Handvoll für den Mund ist immer in Ordnung, denn die meisten Bäume werden (zum Glück noch bewirtschaftet). Zuerst Kirschen, dann die ersten frühen Äpfel, dann wilde Mirabellen und Kirschpflaumen, Brombeeren, Birnen und schließlich bis in den Dezember hinein Äpfel. Dazu Walnüsse und Haselnüsse. Ich liebe diese unterschiedlichen Geschmackserlebnisse, die etwas Ursprüngliches und Unmittelbares haben. In den Städten wurden Obstbäume und auch Wildobsthecken lange Zeit rigoros entfernt – zu unhygienisch, zu viel Verschmutzung durch liegengebliebene Früchte, der Aufwand für Pflege und Schneiden zu groß, die Gefahr durch Wespen. Dazu die Sorge mancher Eltern, dass Kinder essbare Früchte von giftigen nicht unterscheidenkönnten.

Seit einiger Zeit findet man in den Städten wieder mehr Bäume und Sträucher mit essbaren Früchten, so wie beim Beispiel meiner Hofbäume. Und man muss an dieser Stelle gar nicht so große Worte wie Biodiversität benutzen, obwohl es natürlich auch darum geht. Doch sind sie für den Mensch eine Möglichkeit der Naturerfahrung, und für Insekten sind sie ohnehin überlebenswichtig, und damit wiederum auch für uns Menschen, denn ohne Insekten keine Früchte. So einfach ist das.

Letztes Jahr habe ich einen Spielplatz in einer Streuobstwiese realisiert (die wundervolle Planung ist übrigens von Susanna Hirzler vom Werkbüro Freiraum und Landschaft in Tübingen). Apfelbäume, Birnbäume, Mostbirnen (die heute kaum noch jemand verarbeitet, weshalb Birnbäume leider immer seltener werden)und Walnüsse. Wenn es auch für die städtische Grünpflege zunächst kaum vorstellbar war, die Bäume zu erhalten, haben wir zusammen mit den Eltern und Kindern eine Lösung gefunden, den Baumbestand zu erhalten. Früchte werden gemeinschaftlich gesammelt, verarbeitet oder kompostiert. Das Risiko der Wespen wird hingenommen, denn ja, Leben ist Risiko.

Es gibt viele Möglichkeiten, essbare Früchte in den urbanen Raum zu integrieren. Klar, die Pflege muss verhandelt werden, zum Beispiel über Patenschaften.

Also: wagen wir mehr essbare Bäume und Sträucher in der Stadt.

Meine Lieblingssorte essbarer Früchte ist übrigens die Pflaumenkirsche (Prunus cerasifera).

Die Früchte sind eher Pflaume als Kirsche, mit 3-4 cm Durchmesser recht groß für Wildobst. Der Geschmack ist großartig: säuerlich, mit einem süßlich-würzigen Nachgeschmack, die Früchte sind sehr saftig. Die Farbe der Früchte reicht von gelb über orange bis dunkelrot. Sie sind perfekt zum Naschen, aber auch gut für Saft und Marmelade.
Kirschpflaumen wachsen als kleinkronige Bäume oder Sträucher, sie werden bis zu sechs Meter hoch. Als Solitäre schön, genauso wie in einer Wildobsthecke.

Die Pflaumenkrische ist auch als türkische Pflaume bekannt, denn sie kommt eigentlich aus Mittelasien. Die Araber brachten sie nach Europa, die Römer nach Deutschland. Heute ist sie ein eingebürgerter, gut integrierter Migrant in der x.ten Generation. Geht doch.