Die Kunst, in der Hängematte nicht vom Apfel erschlagen zu werden

Mit jedem Jahr wird es mehr: die rastlose Schnelligkeit, die hektische und ergebnisfreie Betriebsamkeit, der tägliche, ärgerliche Stau, der Zeit stiehlt und trotzdem nicht dazu führt, über Alternativen nachzudenken. Dazu die Gleichzeitigkeit des Tuns – Essen, Trinken, Denken, Musikhören, Lesen, Unterhalten, Telefonieren, Fühlen (?). Immer mehr in der gleichen Zeit, die dennoch nicht mehr wird. Mit jedem Jahr steigt die Angst vor Veränderung, während sich um uns herum gerade alles rasend schnell verändert. Oder die Angst vor Entscheidungen, als gäbe es überhaupt noch irgendetwas zu entscheiden. Die Angst vor Fehlern, als wären Fehler nicht einer der großen Antriebe für Entwicklungen. Angst vor Fragen, auf die es keine schnelle Antwort gibt. Oder die Beschränkung durch permanente Erreichbarkeit über Email, Smartphone, WhatsApp, Facebook und Co – und der Zwang der möglichst schnellen Reaktion darauf. Das Bedürfnis, noch das kleinste Erlebnis auf Fotos festzuhalten und in die Welt zu posten, um so von einem scheinbar erfüllten, anspruchsvollen und leichten Leben zu zeugen, dabei wird nur die Menge des Datenmülls immer größer. Der Stress vom Lärm – auf den Straßen, in der Luft, um uns herum und in uns drin. Lärm von vielen Leer- und Füllwörtern, Lärm auch in der Wortlosigkeit, als wäre Schweigen das erste Zeichen eines krachenden Weltuntergangs. Dabei geht die Welt spätestens jeden Morgen im Büro aufs Neue unter, ebenso vor Weihnachten und vor der Sommerpause. Mit jedem Jahr wird das mehr.

Nahezu das einzige Kontrastprogramm zu all dem ist die Urlaubszeit. Wobei es manchmal den Anschein hat, als würden nur weite und spektakuläre Reisen und das Reden und Posten darüber Befriedigung verschaffen. Und wie langweilig klingt denn auch Urlaub auf Balkonien oder Terrassien?

Ich bin gern unterwegs, im Grunde genommen das gesamte Jahr. Deshalb ist mir das Reisen in die Fremde auch manchmal eine Last, die mich erschöpft und vergessen lässt, dass Leben vor allem im Alltäglichen stattfindet. Ein Plädoyer für das HEIMBLEIBEN also.

Fast das Schönste am Heimbleiben ist, dass es mit Ferienbeginn schlagartig leer wird. Die Städte leeren sich (fast), die Dörfer auch. Kein morgendliches Rasen von eiligen Pendlern in der 30er Zone, keine Hupkonzerte an der Ampel, kein Drängeln beim Bäcker. Der Samstag im Dorf, in normalen Zeiten der lauteste Tag der Woche, ruht still – ohne das Geknatter der Rasenmäher und das geschäftige Hin und Her zwischen Grünschnittplatz und Grundstück. Die Restaurants sind leer oder haben geschlossen wegen Urlaub. Pizza gibt es daheim, schmeckt eh besser. Der Wochenmarkt mit seinen bunten Marktständen trödelt nach der Geschäftigkeit der letzten Wochen erschöpft vor sich hin. Der See erholt sich von den Invasionen der Badegäste an den letzten Julitagen. Kein Kindergeschrei auf der Liegewiese, das morgendliche Türkisgrün des Wassers muss nur noch mit den wenigen emsigen Schwimmerinnen und Schwimmern geteilt werden. Die quitschbunten Luftmatratzen und Badetiere aus billigem, stinkendem Kunststoff schwimmen jetzt im Mittelmeer. Einzig die Autobahn hat Dauerstau.

Schön am Heimbleiben ist das Wiederfinden der Vergänglichkeit, in der gleichzeitig die Zeit stehen bleibt. Altbekannte Lieblingsorte, immer gleich und jeden Tag anders. Das Spätsommerlicht, welches Waldwege und Bäche mit seinem spinnenumwobenen Licht verzaubert. Das belanglose Nachmittagsgespräch über den Gartenzaun hinweg, der Spaziergang auf staubigen Feldwegen und das nasse Gras am Morgen, dass den Herbst ankündigt. Die Jungschwalben, die sich nachmittags auf den Dachziegeln sonnen und dann mit kunstvollem Flügelschlag im Pulk Schnaken jagen. Das unermüdliche Klock-Klock vom Buntspecht. Der Geruch vollreifen und bereits fauligen Obstes, das dumpfe Geräusch fallender Äpfel. Der Spätsommerwind, der die ersten Nüsse vom Walnussbaum weht. Der Duft von Marmelade und süßem, klebrigem Saft, das Goldgelb frisch ausgegrabener Kartoffeln und die unvergleichliche Süße reifer Tomaten – direkt vom Strauch genascht. Der wunderbare Überdruss ob der Berge Äpfel, Zwetschgen und Sommerpfirsiche. Dazu Mostbirnen, für die es kaum noch Verwendung gibt, seit das Mosttrinken aus der Mode gekommen ist. Die angenehme Müdigkeit, wenn das Tagwerk vollbracht ist.

Langsamkeit und Gleichmut für eine Langeweile. Ein bisschen ist es so wie in den endlos langen Sommern der Kindheit. Es schafft Platz im Innern. Platzmachen für Leib und Seele.  Keine Zeitung und keine Nachrichten stören, in diesen Momenten lässt sich alles ausblenden: Flüchtlinge, Bienensterben, Klimawandel, Abgasbetrug. Die Welt dreht sich ein paar Wochen ohne uns.

Die einzige wirkliche Herausforderung in diesem Paradies ist die, in der Hängematte nicht von einem Apfel erschlagen zu werden.

Park-Häuser für Menschen oder der vertikale Park

Wer gelungene urbane Freiräume und Parks erleben will, der/die muss in die Schweiz fahren. Auch wenn ich mir dazu immer wieder anhören muss: „ja, aber die haben halt Geld“. Das stimmt, doch bahnbrechende Konzepte haben nicht nur etwas mit Geld zu tun, sondern vor allem mit vorurteilsfreien Ideen und Mut.

Ein Park, dessen Gestaltung sicher einiges an Mut erfordert hat (selbst in der Schweiz), ist der MFO-Park in Zürich. Seine Gestaltung ist auch ein Beitrag zur Debatte „urbane Wand und Dachbegrünung/Stadt im Zeichen des Klimawandels“, die hier in einer sehr speziellen und überraschenden Form auf einen Park übertragen wurde.

Kurz beschrieben ist der MFO-Park ein grüner Parcour auf dem Grundriss einer alten Industriehalle, der sich über eine Gerüstkonstruktion vertikal in die Höhe erhebt. Ein „Park-Haus“ sozusagen, nur für Menschen und Tiere. Fast vollständig berankt von Wildem Wein, Glyzinien, Knöterisch und Pfeifenwinden.

Mit einer Fläche von 105 x 55 m ist der Park eigentlich nur ein kleiner Taschenpark, doch dafür ist er so hoch wie die Nachbarbebauung, 4 bis 5 Geschosse. Park hoch drei. Eine doppelwandige Stahlkonstruktion trägt die Rankhilfen und beherbergt Treppenläufe, Wandelgänge in verschiedenen Höhen und Loggien.

Tritt man hinein in das Innere, wird man empfangen von einer fast märchenhaften Stimmung, aller Krach und alle Geschäftigkeit bleibt zurück, Vögel zwitschern, Sonnenstrahlen schieben sich durch die Blätterhülle, die bunten (und betretbaren) Glasscherben auf dem Boden blinken und blitzen. Der kleine Brunnen verzaubert, als käme gleich der Froschkönig aus dem Wasser (und auch wenn natürlich alle wissen, dass das Märchen vom Froschkönig ein gigantischer Schwindel ist … vielleicht, wenn man nur lang genug wartet). Die Treppen sind steil und nichts für Schwindelanfällige, aber es zieht einen unweigerlich nach oben. Der Aufstieg wird belohnt durch ein spektakuläres Sonnendeck mit Ausblick über die Dächer Zürichs.

Der MFO-Park wurde nach der Maschinenfabrik Oelikon benannt. Er steht exmplarisch für die Entwicklung von Zürich Nord, den Wandel eines ehemaligen reinen Industrieviertels und Stadtentwicklung, die konsequent den Freiraum mitdenkt. Der Entwurf von Burckhardt + Partner und Raderschall Landschaftsarchitekten AG ging aus einem Wettbewerb hervor und wurde 2002 realisiert. Es ist ein kontemplativer Park, für die Mittagspause, die stille Stunde, das Liebespaar, das Lesevergnügen auf dem Dach, vielleicht für Yoga oder Taijiquan, vielleicht für kleines Theater oder Stummfilmklassiker. Doch das braucht es auch in unserer lauten, schnellen Welt. Keine Ahnung, was das Ganze gekostet hat. Doch eine geniale Idee und gelungene Umsetzung, die Nachahmung sucht in Zeiten des Klimawandels und städtischer Luftverschmutzung.

essbare Stadt – alles Quatsch?

Im gemeinschaftlich genutzten Innenhof meiner Stadtwohnung stehen acht Bäume. Im Frühjahr blühten sie wundervoll weiß und wurden von Wildbienen belagert. Im Mai naschten Kinder die kleinen, blauen Früchte von den Bäumen. Felsenbirnen. Der Anblick erinnerte mich an meine Kindheit und mitunter verbotene Naschorgien von Wildhecken oder dem Kirschbaum beim Nachbarn. Offen zugängliches Obst und Wildobst findet man heute fast nur noch im ländlichen Kontext. Eine Handvoll für den Mund ist immer in Ordnung, denn die meisten Bäume werden (zum Glück noch bewirtschaftet). Zuerst Kirschen, dann die ersten frühen Äpfel, dann wilde Mirabellen und Kirschpflaumen, Brombeeren, Birnen und schließlich bis in den Dezember hinein Äpfel. Dazu Walnüsse und Haselnüsse. Ich liebe diese unterschiedlichen Geschmackserlebnisse, die etwas Ursprüngliches und Unmittelbares haben. In den Städten wurden Obstbäume und auch Wildobsthecken lange Zeit rigoros entfernt – zu unhygienisch, zu viel Verschmutzung durch liegengebliebene Früchte, der Aufwand für Pflege und Schneiden zu groß, die Gefahr durch Wespen. Dazu die Sorge mancher Eltern, dass Kinder essbare Früchte von giftigen nicht unterscheidenkönnten.

Seit einiger Zeit findet man in den Städten wieder mehr Bäume und Sträucher mit essbaren Früchten, so wie beim Beispiel meiner Hofbäume. Und man muss an dieser Stelle gar nicht so große Worte wie Biodiversität benutzen, obwohl es natürlich auch darum geht. Doch sind sie für den Mensch eine Möglichkeit der Naturerfahrung, und für Insekten sind sie ohnehin überlebenswichtig, und damit wiederum auch für uns Menschen, denn ohne Insekten keine Früchte. So einfach ist das.

Letztes Jahr habe ich einen Spielplatz in einer Streuobstwiese realisiert (die wundervolle Planung ist übrigens von Susanna Hirzler vom Werkbüro Freiraum und Landschaft in Tübingen). Apfelbäume, Birnbäume, Mostbirnen (die heute kaum noch jemand verarbeitet, weshalb Birnbäume leider immer seltener werden)und Walnüsse. Wenn es auch für die städtische Grünpflege zunächst kaum vorstellbar war, die Bäume zu erhalten, haben wir zusammen mit den Eltern und Kindern eine Lösung gefunden, den Baumbestand zu erhalten. Früchte werden gemeinschaftlich gesammelt, verarbeitet oder kompostiert. Das Risiko der Wespen wird hingenommen, denn ja, Leben ist Risiko.

Es gibt viele Möglichkeiten, essbare Früchte in den urbanen Raum zu integrieren. Klar, die Pflege muss verhandelt werden, zum Beispiel über Patenschaften.

Also: wagen wir mehr essbare Bäume und Sträucher in der Stadt.

Meine Lieblingssorte essbarer Früchte ist übrigens die Pflaumenkirsche (Prunus cerasifera).

Die Früchte sind eher Pflaume als Kirsche, mit 3-4 cm Durchmesser recht groß für Wildobst. Der Geschmack ist großartig: säuerlich, mit einem süßlich-würzigen Nachgeschmack, die Früchte sind sehr saftig. Die Farbe der Früchte reicht von gelb über orange bis dunkelrot. Sie sind perfekt zum Naschen, aber auch gut für Saft und Marmelade.
Kirschpflaumen wachsen als kleinkronige Bäume oder Sträucher, sie werden bis zu sechs Meter hoch. Als Solitäre schön, genauso wie in einer Wildobsthecke.

Die Pflaumenkrische ist auch als türkische Pflaume bekannt, denn sie kommt eigentlich aus Mittelasien. Die Araber brachten sie nach Europa, die Römer nach Deutschland. Heute ist sie ein eingebürgerter, gut integrierter Migrant in der x.ten Generation. Geht doch.

Reutlingen und die Brunnen, zu schön um wahr zu sein.

In etwas geänderter Form erschien dieser Beitrag dieser Tage im rv-bildertanz.blogspot.com/

Hier noch mal der Fokus ganz speziell auf die Brunnen Reutlingens gerichtet, die tatsächlich etwas Besonderes, Bemerkenswertes und Beschreibenswertes sind.

Reutlingen in Baden-Württemberg! Eine mittelgroße Stadt im Südwesten, wer kennt die schon? (Pardon, Reutlingen ist natürlich eine Großstadt). Dennoch haftet der Stadt etwas Kleinstädtisches an. Und wo immer man hinkommt, muss man erklären, wo Reutlingen liegt: südlich von Stuttgart – naja, neben Tübingen – geht gar nicht bei all der Konkurrenz zwischen beiden Städten, in der Tübingen immer strahlender scheint.

Was macht also eine Stadt, die aus der Mittelmäßigkeit der Wahrnehmung hinauswill? Sie kreiert eine MARKE. Jüngst kündigte die Oberbürgermeisterin einen Markenbildungsprozess an, damit die Stadt endlich als das wahrgenommen wird, was sie ist: strahlend, kulturell herausragend, mit einer gefühlt hohen Baukultur, sozialen Segnungen, einer prosperierenden Wirtschaft, die aber dennoch zu wenig Steuern in die Stadtkasse spülen, einer großen Tradition als Reichsstadt. Und trotzdem ist Reutlingen offenbar weitgehend unbekannt.

Nun ist das mit Markenbildungsprozessen so eine Sache, Kopfgeburten meist und wenn sie als Top-Down-Prozess durchgeführt werden, nicht selten zum Scheitern verurteilt oder doch mit erheblichen Gefahren verbunden, wenn irgendwann das, was die Marke propagiert, von den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich eingefordert wird. Marken haben es an sich, dass sie beliebig sind, Slogan, die auch nach hinten losgehen können. Man denke an Karlsruhe: VIEL VOR VIEL DAHINTER oder lieber VIEL DAVOR UND NIX DAHINTER, wie es im Volksmund gern heißt? Meist haben die Städte ein starkes Bedürfnis nach einer Marke, die sich eben nicht durch irgendetwas Exklusives, Besonderes auszeichnen (was auf Karlsruhe gar nicht zutrifft, doch wer würde schon Kassel kennen, gäbe es da nicht die DOCUMENTA)

Dennoch hat jede Stadt Besonderheiten, die sie liebenswert machen, und die vor allem für die eigenen Bürgerinnen und Bürger wichtig sind. Oder auch die Region, aber eben nicht für ganz Deutschland, Europa oder die Welt. Und ist das wirklich wichtig? Bekannt sein in der ganzen Welt?

Für Reutlingen fallen mir einige Besonderheiten ein. Das prägende industrielle Erbe, welches bis zur Unkenntlichkeit verschwunden ist, als würde man sich dessen schämen. Die wundervollen Feste und Veranstaltungen wie Weindorf, Neigeschmeckt Markt und Garden Life, die auch nicht alle nur beliebt sind. Die fast vergessene große Tradition des pomologischen Institutes und seine Wiedergeburt im Streuobstparadies, in der Stadt leider bisher weitgehend unbeachtet. Das Biosphärengebiet, doch das ist ja die Schwäbische Alb und nicht die Stadt. Eine ganz nette Altstadt mit ein bisschen Kultur, auch wenn schon seit Jahren verzweifelt versucht wird, eine überregionale Kulturstadt zu werden, die Reutlingen bei aller Sympathie wohl (trotz der wundervollen Württemberger Philharmonie und einiger ganz netter Museen) nicht werden wird und vielleicht auch gar nicht muss.

Eine Besonderheit sind die Brunnen. Nur wenige Städte der Größe Reutlingens haben mehr davon. Die Nachbarstadt Tübingen (es lebe die permanente Konkurrenz) hat 42).

Dieses und letztes Jahr kamen zwei neue hinzu, konzipiert und geplant von der Autorin dieser Zeilen, die sich zu ihrer Brunnenliebhaberei gern öffentlich bekennt. Die Brunnen könnten also eine neue Ära im Umgang mit dem manchmal ungeliebten Thema eröffnen, weshalb sich ein wohlwollender Blick lohnt.

Fast 90 Brunnen schmücken Reutlingen, städtische und dörfliche, große und kleine, alte und ganz neue – mit unglaublichen Geschichten, die viel mit der Geschichte der Reichsstadt Reutlingen zu tun haben, geliebt von den Bürgerinnen und Bürgern, gern vergessen von den Stadtoberen – außer natürlich bei Einweihungen- trotz widriger finanzieller Bedingungen sorgsam gehegt von der städtischen Grünpflegeabteilung.

Da ist der Maximilianbrunnen auf dem Marktplatz, ein prachtvoller Renaissancebrunnen, 1570 zu Ehren des Kaisers Maximilian II. errichtet, um ihn zu bewegen, der Stadt die Zunftrechte zurückzugeben. Diese waren der widerspenstigen Stadt entzogen worden, die protestantisch bleiben wollte und sich den Rekatholisierungsversuchen erfolgreich zu Wehr setzte. Es ging um das Prinzip und der Preis war hoch, denn Zunftrechte waren seinerzeit die Basis für Wohlstand. Die Lehre daraus: Wie macht man sich die Mächtigen gefügig, denn der Plan ging auf. 1578 erhielt Reutlingen die für die Stadt so wichtigen Zunftrechte zurück.

Kaiser Maximilian Brunnen – schon immer trafen sich vor allem Frauen am Brunnen (Foto: Stadtarchiv Reutlingen)

Da ist der Kaiser Friedrichbrunnen, ebenfalls ein Renaissancebrunnen von 1561 mit einer streng dreinblickenden, abweisenden Figur, die an den Verleiher der reichsstädtischen Rechte im Jahr 1180 erinnert. Herrscher mussten noch nie freundlich sein, das ist heute ein bisschen anders.

Da ist der Lindenbrunnen, ein kunstvoller gotischer Dreipfeilerbrunnen, der einzige seiner Art, der sich nördlich der Alpen erhalten hat, 1544 errichtet, als das gotische Zeitalter schon lange überwunden und der Moderne der Renaissance gewichen schien. Doch man war in Reutlingen offenbar schon immer besonders traditionell.

Da ist der Brunnen im Volkspark, der erst 80 Jahre nach seiner Planung gebaut wurde – die Landesgartenschau machte es möglich. Vorher wollte man zwar mit einem spektakulären Entwurf groß hinaus, endete aber doch schwäbisch pietistisch beim Sparen, befördert durch schwere Zeiten.

Da ist der Gerberbrunnen, in einer Zeit entstanden, als Wichtigeres anstand als Brunnenbau, und der an die große städtische Tradition der Gerber und Färber erinnert und deshalb wohl auch wichtig für die Stadtgesellschaft war. Gerberbrunnen und Gartentorbrunnen dienten übrigens lange Zeit zum Gautschen, diesem feinen Ritus zum Ende der Lehrzeit, bei dem die frisch gebackenen Gesellen von ihren Unarten und Schandtaten freigesprochen werden. Eine Tradition, untergegangen mit den Berufen der Gerber, Färber und Buchdrucker. Schade eigentlich.

Gartentorbrunnen und das Gautschen der Buchdrucker (Foto: Stadtarchiv Reutlingen)

Da ist der Rathausbrunnen, eine prachtvolle Anlage der frühen 60er Jahre, zusammen mit dem Rathaus entstanden, der Stolz der Stadt. Heute ist der Glanz beider (Rathaus und Brunnen) verblichen und gebadet werden darf schon lange nicht mehr.

Rathausbrunnen – Baden verboten heißt es heute (Foto: Stadtarchiv Reutlingen)

Da waren die 1980er Jahre, eine große Zeit für die Reutlinger Brunnen. Der feinsinnige Baubürgermeister ließ viele neue errichten. Ein Beispiel dafür ist der Handwerkerbrunnen in der Altstadt. Brunnen waren wichtig für die Bürger, er hat es erkannt.

In den letzten Jahren zwei neue Anlagen, beide nicht unumstritten, aus Sicht der Autorin beide notwendig. Der im Bürgerpark steht für ein modernes, junges Reutlingen, und wer hätte je gedacht, dass BÜRGERPARK eben nicht nur ein Marketinggag ist, sondern sich mit Leben füllen lässt – trotz Störfeuer einiger verbissener Hygienefanatiker. Viel Arbeit war das, gelohnt hat es sich. Der Wasserlauf auf dem Weibermarkt verbindet die Geschichte der Stadtbäche mit neuen, zeitgemäßen Raumaneignungen. Man darf gespannt sein, was im Umfeld passiert.

Wasserspiel im Bürgerpark – Name ist nicht immer nur Schall und Rauch (Foto: Markus Niethammer)

Es gäbe noch mehr zu erzählen.

Natürlich kosten Brunnen Geld, doch sie sollten es uns wert sein. Brunnen sind eben viel mehr als nur ein bisschen schmückendes Beiwerk. Sie zeigen Stadtgeschichte im Großen und Kleinen, Geschichten von Macht und von der Rolle der Menschen in der Stadt, von Begegnungen, auch von Streit und Versöhnung. Sie sind Zeichen und wichtige Begegnungsorte für die Stadtgesellschaft, am Brunnen trifft man sich…das war schon immer so. Nicht zuletzt deshalb gibt es in einigen Städten Patenschaften und Vereine, die sich um das Wohlergehen der Brunnen einsetzen, auch finanziell.

An dieser Stelle könnte man enden, gäbe es da nicht den Listplatzbrunnen oder vielmehr das, was übrig ist von ihm.

Wie kaum ein anderer Zeichen für den großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbruch nach Kriegsende. Viele Menschen erinnert gerade dieser Brunnen an ihre Kindheit und Jugend oder das Ankommen in der Heimat, wenn man aus dem Bahnhof trat. In einer Hauruckaktion zur Verschönerung des Bahnhofsplatzes 1954 errichtet. Mit dem typischen nierenförmigen Becken, mit Fontänen und nachts farbig illuminiert. Die Reutlinger pilgerten in Scharen hin. Dennoch war er in den letzten Jahren ungeliebtes Kind der Stadtplanung, die in einer sogenannten Rahmenplanung City Nord lieber freie Sichtachsen und steinerne Plätze propagiert. Für einen altbackenen Brunnen war da kein Platz mehr. Für die Autorin war der Beschluss zum Zuschütten des Brunnens einer der schlimmen Momente ihrer Reutlinger Berufszeit, sie hätte den Brunnen gern erhalten, doch das hätte eben Geld und politischen Willen erfordert. Der öffentliche Sturm der Entrüstung war denn aber doch überraschend, berechtigt war er und Ausdruck einer fatalen Fehleinschätzung der Bedeutung dieses Brunnens.

Listplatzbrunnen 2012 – schon stillgelegt, aber noch nicht zugeschüttet (Foto: Katrin Korth)

In der Zeit danach hat die Autorin einige Menschen angesprochen, durchaus respektable Persönlichkeiten der Stadtgesellschaft, ob sie sich nicht eine gemeinsame Aktion zur Rettung des Brunnens vorstellen könnten. Leider erhielt sie nur Absagen.
So tröstet sie sich mit einem privaten Sponsoring in ihrer Geburtsstadt Magdeburg, mit dem der Betrieb eines feinen kleinen Brunnens gesichert wird. Und immer mal wieder sinniert sie darüber, was denn wäre, wenn sich für den Listplatz Sponsoren finden würden. Ganz im Sinne der „Köpfe für Reutlingen“ und ihrem berühmten Zitat von Kennedy: fragt nicht, was Euer Land für Euch tun kann, sondern fragt, was Ihr für Euer Land tun könnt.

Die Autorin wäre bereit für ein TUN, wenn sich denn Mitstreiterinnen und Mitstreiter fänden.

Zum Wohnen braucht es Häuser, zum Leben Parks: der Park am Gleisdreieck in Berlin

Der Fokus der Stadtentwicklung liegt seit je her auf dem gebauten Raum. Das ist manchmal schade, denn das Lebenswerte einer Stadt wird viel stärker durch den Freiraum bestimmt. Vor allem Parks haben  ein hohes Identifikationspotenzial für die Stadtgesellschaft – nicht zuletzt angesichts vieler zunehmend gesichtsloser, immer gleicher Gebäude.

Häuser sind die Voraussetzung für Wohnen, zum Leben braucht es Parks.

Der Park am Gleisdreieck ist so ein identifikationsstiftender Park. Er ist dies wegen seiner faszinierenden Vorgeschichte, auch wegen seiner Gestaltung, vor allem aber wegen der Art und Weise seiner Nutzungsangebote.

Seine Lage im Stadtgrundriss: in den Schnittpunkten verschiedener Bahnlinien und auf der Fläche zweier ehemaliger Güterbahnhöfe, von denen aus ab dem 19. Jahrhundert die wachsende Stadtbevölkerung mit Nahrungsmitteln versorgt werden konnte. Nirgendwo sonst kreuzen sich in Berlin so viele Wege aus Ost und West, Nord und Süd.

Seine Verortung im politischen Berlin: unmittelbar angrenzend an den das „großmannssüchtige“ Investorenallerlei Potsdamer Platz, zwischen Kreuzberg und Schöneberg im Spannungsfeld kiezorientierten Miteinanders und ausgeprägter Drogenszene.

Seine Geschichte: in den 1970er Jahren gehörten große Teile des Areals der Reichsbahn der DDR, eine vom sozialistischen Menschen befreite Enklave in der DDR, die dafür reichlich Raum bot für die alternative Szene (West)Berlins. In den frühen 1990er Jahren sollt hier eine Stadtautobahn gebaut werden, verhindert durch massive Proteste der Bürgerschaft. So blieb ein eingezäuntes Gelände, Spielball unterschiedlicher Interessen der Stadtpolitik. Die Sukzession tat ein Übriges und machte aus der Wildnis Wald. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde die Fläche genutzt für die Baulogistik des Potsdamer Platzes.

Dem Potsdamer Platz in all seiner Investorenmittelmäßigkeit sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt, denn die notwendigen Ausgleichszahlungen für die baulichen Eingriffe waren Voraussetzung für den Bau des Parks.

Das Ergebnis: kein kuscheliger Park mit einem lieblich überformten Gelände oder einer strengen und letztlich langweiligen Rasterung, oder harmonisch geschwungenen Wegen, hübschen Mauern und Sitzstufen oder den immer gleichen Spielplätzen für Kinder. Sondern ein Park mit mehr als 30 Hektar Fläche, wo der Himmel weiter nicht sein könnte, der mehr als anderswo in Berlin tatsächlich großstädtisch ist. Ein Ort, der offen mit der Industrie- und Stadtgeschichte als Bahnareal umgeht; ein Ort, der immer noch an vielen Stellen nach Infrastruktur aussieht; ein Ort der laut ist und gleichzeitig still. Ein Ort, in dem scheinbar alle ihren Platz finden: Hundebesitzer, Jogger, Skater, Familien mit Kindern, Gartenliebhaber, Sozialromantiker, Spaziergänger und Menschen, für die der Park Treffpunkt und Ausgleich vom hektischen Großstadtleben ist, arme Menschen, reiche Menschen. Ein urbaner Begegnungsort im besten Sinne, in dem man stets aufpassen muss, dass man nicht von rasenden Radfahrern umgefahren wird.

Das Konzept: einfach und durchdacht. Mit zentralen Rasen- und Wiesenflächen, seitlichen Baumsäumen und üppigen Resten des früheren Bahngelände-Ruderalwaldes. Dazu schnurgerade, breite Wege, an den Eingangs- und Randbereichen Spielplätze, Sportanlagen, Skateplätze, Sitzdecks und Flächen für Aufenthalt und Bewegung – alles sehr nutzungsoffen. Kleingärten, die erhalten bleiben konnten, Gemeinschaftsgärten, gestaltet ungestaltete Naturerfahrungsräume für Kinder, an den Eingängen Kioske und WC`s. Der Park hat eine intensive Programmierung, das ist so gewollt und hierbei dennoch mehr viel mehr als die Summe von Einzelteilen. Alle Angebote fügen sich wie selbstverständlich in den Raum ein, ergänzen sich und bilden so ein stimmiges Ganzes.

Das landschaftliche Narrativ ist nirgends aufgesetzt, sondern aus dem Ort heraus entwickelt und damit allgemein verständlich. Der offene Umgang mit den unterschiedlichen Zeitschichten schafft prägnante Raumbilder. Schotterflächen, die an die Bahngeschichte anknüpfen, ebenso wie speziell angepasste Staudenbeete oder die Prellböcke und Gleisreste, die sich überall im Park verstreut finden. Lediglich die Eingänge und Übergänge in die angrenzenden Stadtteile könnten offener gestaltet sein. Und die angrenzende Bebauung ist zumeist die typische gesichtslose Bebauung durch Bauträger. Über diese Mängel lässt sich jedoch wegschauen.

Das Besondere: seine Gestaltung und seine Nutzungsangebote sind niederschwellig und schließen niemanden aus. In seiner Gesamtheit bildet er die Pluralität der Stadtgesellschaft ab. Zudem ist eine Weiterentwicklung des Parks möglich und auch explizit gewünscht. Ein Park also, der nicht fertig ist und der unterschiedliche Aneignungen verträgt und will. Ein Ort des „weniger Reglementierten“ innerhalb unserer üblicherweise hochgradig determinierten und überregulierten Stadträume.

Und so verdient der Park den Namen Bürgerpark im besten Sinne. Bürgerinnen und Bürger haben den Park ermöglicht und sich für ihre Bedürfnisse eingesetzt. Bürgerinnen und Bürger nutzen den Park, eignen ihn sich an, ab morgens bis spät in die Nacht.

Und das ist eigentlich die gute Nachricht.

In welcher Stadt wollen wir leben? Gedanken über Reutlingen und darüber hinaus

Erwiderung und Ergänzung zum Reutlinger Bildertanz: In welcher Stadt wollen wir leben? http://rv-bildertanz.blogspot.de/

Wieder ein klugkritischer Bericht im Bildertanz, über das Unbehagen mit moderner Architektur und Stadtplanung, über wahnwitzige Ideen von Architekten, über Tradition und Moderne, das Verhältnis von Architektur und Macht, über die Rückkehr des Hochhauses in die Stadt und die Vielfalt des Lebens. Wunderbar. Nach wie vor ist der Bildertanz in Reutlingen einer der wenigen Orte und damit viel mehr als nur ein soziales Medium, an dem der Diskurs über Stadtentwicklung in Reutlingen versucht wird. Das macht ihn so unersetzbar.

Gleichzeitig erzeugen die Beiträge und Diskussionen mitunter ein Unbehagen bei mir. Viel pauschales „Alles schlecht heute“ und „böse Stadtplaner und Bürgermeister, die alles Schöne abreißen“. Auch im aktuellen Beitrag fand sich dieser Unterton, dass den Bürgerinnen und Bürgern schreckliche moderne Architektur und Stadtplanung übergestülpt würde und sie dem hilflos ausgesetzt wären.

Wird Architektur und Stadtplanung den Menschen übergestülpt? Charlie Bildertanz richtete den Blick auf die letzten 50 Jahre mit schönen Beispielen und Zitaten wie dem, dass der Krieg eigentlich viel zu wenige Häuser zerstört habe, welches Oskar Kalbfell zugeschrieben wird – und dass ich auch von mehreren anderen, zum Teil namhaften Stadtplanern, Politikern und Bürgermeistern aus dieser Zeit kenne. Dem von (vermeintlich) gesichtsloser Stadtplanung geplagten Reutlinger spricht das aber sicher aus der Seele: seht, bei uns ist es schon immer am Schlimmsten. Ist es nicht, besuchen Sie mal Darmstadt, danach wird Ihnen Reutlingen wie ein Kleinod vorkommen.

Der Blick auf die letzten 50 Jahre reicht für die berechtigte Kritik an der Moderne nicht. Architektur und Stadtplanung der Nachkriegszeit und ebenso die schrecklichen Auswüchse heute sind nicht zu verstehen ohne das 19. Jahrhundert und das gigantische Wachstum der Städte, die Enge und den Schmutz, die furchtbaren sozialen und hygienischen Zustände ohne sauberes Trinkwasser mit verschlammten Straßen und schmutzigen Fabriken, welche Abgase und Abwasser ungereinigt über die Menschen ergossen. Die aktuellen Feinstaubbelastungen sind dagegen ein Fliegenschiss. Architektur und Stadtplanung der Nachkriegszeit sind auch nicht zu verstehen ohne Berücksichtigung der sozialen Bewegungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie Gartenstadt- und Volksparkbewegung und das Neue Bauen, vor allem aber nicht ohne die Charta von Athen aus dem Jahr 1933. In ihr wurde die funktionsräumliche Trennung von Arbeiten, Wohnen, Erholen und Bewegen als städtebauliches Leitbild festgeschrieben, die im Grunde genommen bis heute praktiziert wird. Ziel war die Beseitigung sozialer Missstände, Nebeneffekt war eine gigantische Zerschneidung von Stadträumen mit riesigen Verkehrsmagistralen, weiten Wegstrecken zwischen Arbeit und Wohnen – und infolge dessen immer leistungsfähigere technische Fortbewegungsmittel (S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn). Auch das Auto wäre ohne die funktionsgetrennte Stadt nicht denkbar – enge Altstadtgassen brauchen kein Auto, die funktionsgetrennte Stadt mit ihren weiten Wegen schon. Die funktionsgetrennte Stadt hat den Niedergang der Innenstädte und Städte beschleunigt, die Großsiedlungen mit öden Blocks und Hochhäusern sind sichtbare Zeichen dieser Zeit. Nicht zuletzt deshalb setzte in den späten 1960er Jahren eine breite gesellschaftliche Debatte über den Niedergang der Städte ein (neben Bürgerinitiativen, Architekten, Stadtplaner und selbst der Deutsche Städtetag). In der Folge wurden Landesdankmalschutzgesetze verabschiedet und erste städtebauliche Erneuerungsprogramme zur Vitalisierung der historischen Stadtkerne aufgelegt. Dass sich aktuell in einigen Städten (und auch in Reutlingen) die Wiederkehr des Hochhauses gefeiert wird, ist eine unglückselige Fußnote der jüngeren Geschichte, wider besseren Wissens, was qualitätsvolle Stadtplanung bedeutet. Hochhäuser zu errichten, um die Rückkehr der Menschen in die Stadt und das Wachstum der Städte zu bewältigen, ist das Dümmste, was man tun kann, denn Dichte und Urbanität lässt sich damit nicht erzeugen. Für die Stadt sind Hochhäuser eine Katastrophe, sie sind lebensfeindlich, zumindest wenn man eine lebendige Stadt im Sinne des Leitbildes der europäischen, urbanen Stadt will. Auch fürs Stadtklima sind Hochhäuser schlecht. Und wie man sich als Mensch zwischen den verschatteten Beton- und Glasfassadenschluchten fühlt, kann man in Frankfurt erleben. Nur aus der Entfernung hat das Hochhaus einen gewissen Charme. Doch die Skyline ist eben nur ein Abbild der Stadt und nicht die Stadt selbst.

Der Krieg hat beim Niedergang der Stadt eine eher geringe Rolle gespielt – die Zeit der großen Stadtzerstörung war die Nachkriegszeit. Einen gewichtigen Teil am Niedergang der Stadt hatte und hat die autogerechte Stadt, das lässt sich in Reutlingen bis heute gut ablesen. Sechsspurige und achtspurige Straßen sind kein Lebensraum, sie sind Platzverschwendung. Für diese Straßen wurde viel Stadtraum zerstört und keine noch so gut gelungene moderne Bebauung kann das wieder gut machen. Möglicherweise fragt man sich an dieser Stelle, wie denn die vielen Menschen in die Stadt kommen sollen ohne Auto. Ich kenne nicht wenige Menschen in Reutlingen, deren Arbeitsweg weniger als 5 km lang ist (und bei diesen Wegen ist das Fahrrad eindeutig im Vorteil) und die dennoch jeden Tag das Auto nutzen, manchmal mit der Begründung eines schlechten ÖPNV, oft aber aus reiner Bequemlichkeit. Übrigens (auch das ist eine Fußnote der Geschichte, allerdings mit besserem Ausgang) sollte auch die Tübinger Altstadt nach dem Krieg abgerissen werden, nur Rathaus, Schloss und Kirche sollten stehen bleiben, auf dass die Stadt autogerecht werde. Welch ein Glück, dass dies nicht passiert ist, der erwartete Verkehrskollaps ist auch ausgeblieben, auch wenn das manch einer immer noch anders sieht. Dafür entstand eine Stadt mit hoher Lebensqualität.

Aus dem fachlichen Blickwinkel heraus ist es allerdings problematisch, dass sich Stadtplanung und Architektur mitunter schwer tun mit dem Bestand und viel lieber neu bauen. Das war früher so und ist heute immer noch nicht viel besser. Einer der wenigen, dem beispielsweise in Reutlingen ein guter Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz gelungen ist, war Prof. Engels, der frühere Baubürgermeister. Die funktionsgerechte Stadt war damit für Politiker, die offensichtlich am liebsten Einweihungen feiern, sondern auch für viele Stadtplaner ein Segen, so konnten sie sich im Neubau austoben. Gleichwohl hat die funktionsgetrennte Stadt auch Gutes hervorgebracht , die Wohnqualität ist deutlich gestiegen, es gibt in den Stadtvierteln ausreichend Grün- und Freizeitflächen, Abwasserentsorgung funktioniert, schließlich wurden schmutzige Industrien aus den Innenstädten und Wohnquartieren verbannt.

Nun kann man noch beklagen, dass die Stadtplanung in der Vergangenheit und auch der Nachkriegszeit nicht demokratisch sondern von oben verordnet war. Und trotz formeller Beteiligungsinstrumente scheint sie auch heute noch vielfach undemokratisch zu sein. Gleichzeitig ist das mit der Demokratie so eine Sache, denn manches lässt sich nur schwerlich demokratisch entscheiden. Fahre ich mit dem Auto zur Arbeit, wird mein Interesse in gut ausgebauten Straßen und grünen Wellen liegen. Laufe ich zu Fuß oder lebe an einer vielbefahrenen Straße, leide ich wahrscheinlich unter dem Gestank der Abgase und wünsche mir die Autos (vor meiner Haustüre) weg. Betrachte ich mein Ladengeschäft in der Innenstadt, dann möchte ich viele Parkplätze direkt vor der Tür. Betrachte ich die gesamte Altstadt, dann sind Parkplätze für die Erlebbarkeit der Stadt höchst abträglich. Es braucht also eine Abwägung, fachlich und politisch.

 

Unser Blick auf Architektur und Stadtplanung hat dennoch viel mit unserer persönlichen Wahrnehmung und unserer eigenen Haltung zu tun. Wir haben als Menschen alle – jeder auf seine oder ihre Art (ich nehme mich da nicht aus) – einen Beitrag geleistet, dass die Städte heute sind wie sie sind. Wir wollen das großzügige Einfamilienhaus im ruhigen Ortsteil mit Parkplatz direkt vor dem Haus anstatt beengt in der Innenstadt zu leben. Wir wollen möglichst verkehrsgünstig an den Schnellstraßen leben, doch abgeschieden genug, dass der Verkehrslärm nicht stört. „Alle“ lieben historische Altstädte, und dennoch wollten nicht wenige Besitzer (Alteingesessene übrigens überwiegend) wollten lieber am ruhigen Stadtrand wohnen, haben ihre Immobilien lange Zeit sträflich vernachlässigt und häufig den maximalen Profit bei der Vermietung herausgezogen oder die Gebäude wenig sensibel verändert. Und wer will schon in Häusern mit steilen Treppenstiegen, dunklen Zimmern und Deckenhöhen von unter zwei Metern leben? Wir bestehen auf maximaler Individualität (z.B. freie Fahrt für freie Bürger, kostenlose Parkplätze für alle), auch wenn wir eigentlich wissen sollten, dass dies dann zu Lasten anderer Dinge geht, meistens derjenigen, die keine Lobby haben. Wir wünschen uns individuelle Architektur und wohnen selbst oft freiwillig in gesichtslosen Häusern, quadratisch, praktisch gut. Wir wollen eine durchgrünte, baumbestandene Stadt mit Staudenbeeten und Sommerflor, selbst fällen wir aber die großen Bäume auf unserem Grundstück, denn sie machen Arbeit (alternativ pflanzen wir erst gar keine), wir legen in unseren Vorgärten Schotterflächen an, die mit Beet so rein gar nichts mehr zu tun haben, weil das so praktisch ist und verzichten auf die Geranien auf dem Balkon, denn die machen auch nur Arbeit. Wir stören uns am Verkehrslärm und legen jeden noch so kurzen Weg mit dem Auto zurück.

Wir sind Teil des Systems. Und welche Architektur und Stadtplanung wünschen wir uns nun? Bei dieser Antwort blieb Charlie leider etwas schwammig: die Vielfalt des Lebens, nun ja. Ich nenne es lebenswerte Stadt (nach Jan Gehl, der dazu viel Kluges geschrieben und auch geplant und gebaut hat). Um herauszufinden, was lebenswerte Stadt sein kann, hilft der Blick auf die historische Stadt und gleichzeitig die Beobachtung der Menschen und ihrer Vorlieben und Bedürfnisse. Lebenswerte Stadt inszeniert die Übergänge zwischen Innen und Außen, schafft Nutzungsmischung und individuelle Wohnungsgrundrisse für eine vielfältige Bewohnerschaft. Der Schlüssel ist das Zusammenspiel von aktiver, sozial indizierter Wohnraum- und Freiraumentwicklung. Lebenswerte Stadt redet nicht nur von „Stadt der kurzen Wege“, sondern schafft Quartiere, in denen die Erdgeschosse öffentlich genutzt werden durch Cafés, Restaurants, Läden, Arztpraxen, Büros und Werkstätten. Lebenswerte Stadt braucht Parzellen und eine kleinteilige Architektur, den klaren Nutzen eines Bauvorhabens für das Quartier und nicht die ewig gleichen Gebäude und Gebäudefluchten in weiß/grau/schwarz. Lebenswerte Stadt plant und baut breite Fuß- und Radwege, hat einen guten ÖPNV (auch abends und nachts) der Stadtbaum ist wichtiger als eine überbreite Straßenkreuzung und es gibt Stadtplätze, die nicht nur Steinwüsten sind, sondern zum Aufenthalt einladen. So entsteht Vielfalt – bei den Häusern, im Stadtraum und bei den Menschen. Und so entsteht eine Stadt, in der die Menschen gern und freiwillig draußen sind und sich begegnen, denn das will Stadt letztlich sein: die Möglichkeit der Begegnung. All das fördert wiederum die Sicherheit, denn was nutzt es, dass beispielsweise Reutlingen eine der sichersten Großstädte Deutschlands ist, doch nach 19.00 Uhr die Straßen leer sind, was vor allem Angst erzeugt.  Aber vielleicht sollen ja die Menschen daheim bleiben?

Darüber braucht es eine Diskussion, und dafür braucht es stadtplanerische Instrumente, die es ja alle gibt, die man eben nur anwenden muss. Dann verträgt eine Stadt auch sehr gut Investoren, die meiner Auffassung jede Stadt braucht, die aber klare Vorgaben benötigen über das, was eine Stadt will (Mir hat übrigens mal ein Architekt gesagt, dass man sich in Reutlingen nicht anstrengen müsste, denn die Stadt genehmigt eh alles und dass die Investoren und Architekten ganz gut auch mit mehr Vorgaben leben könnten). Es braucht ein Leitbild für die Stadt, und hierbei geht es nicht um das Positionieren von Häusern im Stadtgrundriss oder die Anzahl der Kindergartenplätze, sondern um die gewünschte Qualität der Stadt- städtebaulich, ökologisch, sozial. Aber, auch das ist eine Bedingung für gute Stadtentwicklung, die lebenswerte Stadt braucht Vorbilder, die genau das vorleben.

Architektur und Wasser

Schon mal vorab: die Internationale Gartenschau in Berlin ist unbedingt einen Besuch wert. Denn hier findet sich wirklich herauragende Gartenkunst, und vor allem, immer wieder das perfekte Zusammenspiel von Architektur (gebaut oder gewachsen) mit Wasser. Zum weinen schön. Da macht es nicht eimal etwas, wenn das Wetter nur bedingt mitspielt.

Über Lindenbäume

Dass Münster die Hauptstadt der Fahrradfahrenden ist, wusste ich. Wirklich überrascht war ich aber von den vielen Lindenbäumen in der Stadt. Linden, nahezu überall und reichlich. Die Linde ist ja nicht ganz einfach als Stadtbaum, auch wenn sie sich stadtklimatisch meist gut eignet und die perfekte Bienenpflanze ist. Aber Blattläuse lieben Linden leider auch und der Honigtau, den sie absondern, ist eine ziemlich klebrige und unangenehme Sache: färbt Bodenbeläge, verklebt Bänke, den Autolack und auch die Fahrräder. Doch nichts geht über den betörenden Lindenduft zur Blütezeit im Juni und Juli, der mich immer ganz schummrig im Kopf macht. Wunderbar. Und so spazierte ich durch Münster, staunte darüber, wieviele Fahrradfahrer in eine Stadt passen und wie gemütlich das trotzdem sein kann und landete schließlich auf dem Domplatz mit seinem merkwürdig verbauten und gestückelten, halb romanischen und halb gotischen Dom, dessen Türme etwas zu breit und zu kurz geraten sind. Auf dem Platz einer der größten und schönsten Wochenmärkte, voller Menschen und sehr entspannt trotz Regen. All das gerahmt von Linden – großen und kleinen, alten und jungen als Baumhaine und frei, schier gar wahllos, verteilt als Solitäre, dazu ein altes Natursteinpflaster. Das war so schön, dass ich mir unweigerlich die Frage stellen musste, warum manch neuer Platz trotz aufwendiger Planung so trostlos daherkommt? Neigen wir dazu, alles totzuplanen und  sollten wir bei den Bäumen nicht einfach mutiger sein? Dann tropft es eben.

Warum ich einen Blog schreibe

In meinem Berufsleben schreibe ich viel: Mails und Briefe, Projektanträge, Vorlagen für den Gemeinderat, Fachartikel, meine Dissertation. Manchmal lange Texte, manchmal kurze. Vor einigen Jahren habe ich Facebook für mich entdeckt. Und bei aller berechtigten Kritik an diesem Medium kommt es ja darauf an, was man damit macht. Facebook ist, zumindest für mich, eine wunderbare Möglichkeit für Fotos, Kommentare und den Diskurs.

Meine Themen? Stadt- und Freiraumplanung, Radfahren und Zu Fuß Gehen, Parks und Gärten, Häuser und das ZWISCHEN DEN HÄUSERN, Natur und Landschaft, Garten, Brunnen und Wasserspiele.

Warum? Es ist mein Beruf, aber es ist noch mehr. Ich laufe gern durch Stadt und Dorf, komme viel herum, beobachte gern – und ich diskutiere gern über das, was ich sehe, was mich bewegt, worüber ich mich ärgere oder freue.

Noch etwas kommt dazu.

Ich lebe auf dem Land – genauer gesagt im ländlichen Raum Baden-Württembergs in einem Dorf mit mehreren Ortsteilen und einigen schönen Fachwerkhäusern, mit schlechter ÖPNV-Anbindung, eher schrumpfender Bevölkerung und dennoch mehreren Neubaugebieten für viele neue Einfamilienhäuser. Ich lebe in einem Dorf mit drum herum Intensivlandwirtschaft und zum Glück noch einigen Streuobstwiesen, einem Biobauern und einigen Hofläden, mit kleinen Bächen, Baggerseen mit klarem Wasser und dem wundervollen Rhein. Ich mag die Nachbarschaft des Dorfes mit dem Gespräch über den Gartenzaun, die vollen Körbe mit Obst, die weitergegeben werden, wenn es für die einen zu viel wird. Wie vielerorts im ländlichen Raum ist es selbstverständlich, überall hin mit dem Auto zu fahren – und wenn es nur 100 Meter entfernt ist – obwohl es ein passables Radwegenetz gibt. Ich lebe in einem Dorf, in dem man Mitglied in einem Verein sein sollte, man sich als Bürger oder Bürgerin ansonsten aber kaum einbringen kann, was vielen offenbar egal ist. Mein Dorf und die Gegend drum herum sind lebenswert, aber nicht weil politisch sonderlich viel dafür getan wird (abgesehen von einigen wenigen Unermüdlichen), sondern weil es hier schon immer schön war. Gleichzeitig verändert sich das Land immer mehr, was am deutlichsten daran sichtbar wird, dass es für Insekten, Igel, Hasen und viele Vogelarten immer schwieriger wird zu überleben.

Ich lebe auch in der Stadt – genauer gesagt an drei Tagen in der Woche in einer Universitätsstadt in Baden-Württemberg. Diese Stadt hat eine hohe Geburtenrate und wächst gerade stark, weshalb Wohnungsmangel herrscht. Die Stadt hat einen hohen Anteil an Menschen mit Hochschulabschluss und scheinbar reden alle überall mit. Es ist eine Stadt, in der intensiv um politische Entscheidungen gerungen wird und eine Stadt, die den Umbau zur lebenswerten Stadt vor vielen Jahren begonnen hat. Der Anteil im Umweltverbund (Rad, Fuß, ÖPNV) liegt bei 76 % (Binnenverkehr). Diese Stadt ist so, wie ich mir eine lebenswerte Stadt wünsche: mit lebendigen und individuellen Stadtquartieren, einer wundervollen Altstadt und mit vielen Menschen auf der Straße, die dich anschauen und dich wahrnehmen, wenn du Ihnen begegnest.

Das eine wie das andere hat natürlich mit der örtliche Lage zu tun (Stadt/Dorf), es hat mit Stadtplanung zu tun und mit dem Verständnis für Grün und Freiräume, vor allem aber hat es mit Politik zu tun, mit der großen in Bund und Land und mit der Kommunalpolitik. In meinen beiden Wohnorten könnte dies kaum unterschiedlicher sein. Mein Dorf hat einen Bürgermeister, der sehr jung ist (von nicht wenigen Menschen wurde er gerade deswegen gewählt), den man kaum im Ort trifft, dessen Ideen für die Entwicklung des Dorfes nicht erkennbar sind (falls er welche hat), der offenbar nicht gern mit seinen Bürgern diskutiert und der die 2 km Arbeitsweg zum Rathaus jeden Tag mit seinem großen, wichtigen Auto fährt. Die Stadt hat einen Oberbürgermeister, der zu vielem etwas zu sagen hat, der die Diskussion mit seinen Bürgerinnen und Bürgern sucht, der beharrlich den ökologischen und sozialen Umbau seiner Stadt vorantreibt und der mit seinem E-Bike fröhlich von Termin zu Termin radelt.

Das ist der Spannungsbogen, in dem sich für mich Stadt- und Freiraumplanung bewegt. Und so habe ich zwei Labore – ein Stadtlabor und ein Dorflabor und freue mich, dass mir beide so viele Anregungen bieten. Und das muss man doch teilen, oder?

Wenn Wasserfontänen Dächer bekommen

Da wird erst großflächig schwarzes Basaltpflaster verlegt und Schatten gibt es auch keinen auf dem weitgehend freien Platz ohne Bäume. Möglicherweise hat man sich gewundert, dass es trotz einiger Fontänen auf dem Platz heiß wird, zumal bei über 30 ° C wie in den letzten Tagen. Und damit die Kinder und ihre Eltern keinen Hitzschlag bekommen, gibt es ein Dach.

Was für ein grandioser Blödsinn. Mann sollte sich planerisch vorher überlegen, ob und wie ein Platz genutzt werden soll.